Bei der Zürcher Kantonalbank staunten Forscher nicht schlecht, als sie beim Durchforsten der Archive das Sparbuch von Wladimir Iljitsch Lenin in Händen hielten. Der kommunistische Revolutionär hatte lange im Schweizer Exil gelebt, bevor er 1917 nach Moskau ging, wo als Anführer der Kommunisten die Sowjetunion gründete. Im Jahr 1997 präsentierte die Bank den Namen des illustren Kontobesitzers. Sein Konto hatte den Zweiten Weltkrieg und den Fall der Mauer überdauert. Lenin hinterließ überschaubare zwölf Franken.
Bei den Schweizer Banken klopften nicht nur Kommunisten an. Auch Hitlers Nazi-Schergen nutzten Bankkonten, um von Juden geraubtes Vermögen zu verstecken. Die unabhängige Bergier-Kommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden Jean-Francois Bergier, veröffentlichte 2002 einen Bericht, in dem sie den Verbleib von Vermögenswerten, die zur Nazizeit in die Schweiz gelangt waren, so gut wie möglich dargelegt hat. Doch was man damals noch nicht ahnen konnte: Die Credit Suisse führte mindestens noch bis 2020 Bankkonten mit Bezug zu Nazi-Verbrechern. Die Credit Suisse hatte der Bergier-Kommission bestimmte Dokumente offenbar bewusst unterschlagen, später auch Neil Barofsky. Der US-Jurist sollte ab 2020 neue Spuren weiterer Nazi-Bankverbindungen aufklären, die Credit Suisse hat ihn aber bald hinausgeschmissen. Die UBS, zu der die Credit Suisse seit 2023 gehört, lässt Barofsky nun im Auftrag des US-Senats erneut in die Archive. Anfang 2025 möchte er seinen Abschlussbericht vorlegen. Ein Zwischenergebnis ist der Befund, dass einige Konten noch bis 2020 existierten.
Der britische Historiker Harold James war ab 1996 Mitglied der Bergier-Kommission: „Ich bin nicht überrascht von den neuen Funden. Wir waren damals in den Archiven der Credit Suisse, aber wir erhielten keinen Einblick in die Kundenregister, wir mussten nehmen, was uns präsentiert wurde“, sagte James der SZ. Auch sein Historikerkollege Jakob Tanner, ebenfalls Mitglied der Bergier-Kommission, hat dies bemängelt. Den Forschern seien immer wieder massiv Steine in den Weg gelegt worden, sagte er unlängst dem Spiegel.
Barofskys Team wird die neu aufgetauchten Kundenregister der Credit Suisse nun durchsuchen. Auf die Historiker könnten Überraschungen warten: Nach Lenins Konto hatte niemand gezielt gesucht, es war laut Harold James ein Beifang beim Flöhen der Archive. So gab es immer wieder Spekulationen, dass SS-Hauptsturmführer Alois Brunner Geld in der Schweiz gebunkert hätte. Brunner, der mit Adolf Eichmann die Vernichtung der europäischen Juden plante, floh in den 1970er-Jahren nach Damaskus, wo er 2001 starb. Er war Handlanger des syrischen Diktators Hafis al-Assad, Vater des gestürzten Baschar al-Assad, dessen Familie nachweislich ebenfalls Konten in der Schweiz besitzt. Die UBS möchte sich nicht im Detail äußern, versprach aber, „einen Beitrag zu einer umfassenderen Aufklärung von NS-bezogenen Altkonten zu leisten“. Der Barofsky-Report wird zwei Fassungen haben: eine öffentliche Version ohne die Namen der Kontoinhaber und Helfershelfer und eine nicht öffentliche. Der Schutz durch das Schweizer Bankgeheimnis scheint auch für verstorbene Nazis zu gelten.