Mitglieder der Bergwacht stehen vor Beginn des Requiems wie eine Ehrenwache am Sarg, der mit einer Bayernfahne bedeckt ist. Gebirgsschützen und Trachtler kommen mit Uniformen und Fahnen, viele Größen aus Politik und Gesellschaft sind am Samstag im Münchner Frauendom versammelt, um von dem früheren Landtagspräsidenten und langjährigen CSU-Fraktionsvorsitzenden Alois Glück Abschied zu nehmen. Glück war am 26. Februar im Alter von 84 Jahren in einer Münchner Klinik gestorben.
Die große Anerkennung für diesen Mann, der nicht groß war und nicht laut, aber wirkmächtiger als viele auffälligere Politiker, wird noch einmal deutlich an diesem Tag. «Viele sind inspiriert von seinem Glaubens- und seinem Lebenszeugnis», sagt der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. «Das zeigt sich dann, wenn jemand stirbt.»
Marx leitet den Trauergottesdienst, der von der Münchner Dommusik und dem Bayerischen Staatsorchester musikalisch mit Wolfgang Amadeus Mozarts berühmten Requiem in d-moll gestaltet wird. Der Kardinal war Glück eng verbunden. Er würdigt Glück in seiner Predigt als einen Menschen, der die Bergpredigt, die Seligpreisungen, gelebt habe und appelliert an Politiker und alle Menschen, es ihm gleichzutun.
«Was fehlt, wenn Gott fehlt?», fragt Marx und verweist auf theoretische Diskussionen, die darüber geführt würden, wie sich Gesellschaften ohne Gottesbezug veränderten. Doch konkret werde das, wenn Menschen das ausfüllten – und diese dann fehlten. «Man muss Politik machen mit den Seligpreisungen», sagt Marx, «Alois Glück hat gezeigt, dass das geht.»
Die Bergpredigt gebe den Standpunkt an, von wo wir auf die Welt schauen: von unten, von den Armen her. «Eine christlich geprägte Gesellschaft lässt niemand einfach am Wegesrand liegen.» Glück habe gewusst, dass es ohne die Kirchen diese christliche Prägung nicht geben werde, deswegen sei ihm so daran gelegen gewesen, dass die Kirche sich erneuert. Das sei nicht leicht gewesen, er habe sich auch von Bischöfen einiges anhören müssen, räumt Marx ein. Aber Glück habe sich nicht beirren lassen.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) verneigt sich im anschließenden Staatsakt sprichwörtlich «vor einem großen Politiker, der Bayern gutgetan hat». Glück sei Vordenker und Friedensstifter gewesen und für sie persönlich nicht nur ihr Vorgänger in verschiedenen Ämtern, sondern auch ihr Vorbild in seiner Haltung. Wie viele Redner an diesem Tag würdigt Aigner sichtlich bewegt nicht nur, was Glück getan hat, sondern vor allem, wie er es getan habe: Indem er zuhörte und Verbindungen herstellen konnte, wo andere keine sahen.
Kompromisslos sei Glück gewesen, wenn es grundsätzlich wurde: wenn es um die Verantwortung für die Schöpfung und um den Schutz der Menschenwürde ging. «Du warst streitbar mit deinen festen Überzeugungen, aber dabei immer besonnen, dialogbereit und zusammenführend», sagt Aigner.
Glücks enge Beziehung zu den Bergen erwähnt sie auch. Dorthin sei er gegangen, um ganz bei sich zu sein und die Welt mit etwas Abstand betrachten zu können. «Der Berg verleiht Weitblick und gleichzeitig Bodenhaftung», sagt Aigner. Glück hatte neben vielen anderen Ehrenämtern von 2002 bis 2014 den Vorsitz der Bergwacht inne, ihr war er besonders verbunden.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nennt Alois Glück einen «der bedeutendsten Bayern der Nachkriegsgeschichte», obwohl er weder Ministerpräsident noch Parteivorsitzender gewesen sei. Dennoch habe er die CSU maßgeblich geprägt.
Die CSU im Landtag verliere einen «politischen Vordenker», sagt Klaus Holetschek
«Er war ein eigenes Kraft-, ein eigenes Machtzentrum in der CSU», sagt Söder. Auch wenn die Aufmerksamkeit damals, in der Zeit nach Franz Josef Strauß, vor allem auf Ministerpräsident Edmund Stoiber und Parteichef Theo Waigel gelegen habe, habe Alois Glück daneben immer eine wichtige Rolle gespielt. Glück habe immer Autorität besessen, «er musste sich nie mit jemand gemein machen», sagt Söder. Der Grund dafür seien seine tiefen Überzeugungen und die tiefe Verbundenheit mit Heimat und Natur gewesen.
Söder, der wie Ilse Aigner 1994 erstmals in den Landtag eingezogen ist, erlebte Glück als seinen ersten Fraktionschef. Es sei nicht – wie bei Aigner – Liebe auf den ersten Blick gewesen, sagt Söder. «Ich war zu forsch, zu schnell, vielleicht auch zu mutig», sagt er. Ein bisschen Einsicht ist auch dabei: «Ich hätte schon früher auf ihn hören sollen, das hätte mir manches an Ärger erspart.»
CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagt, die Landtagsfraktion verliere «eine prägende Führungspersönlichkeit und der Freistaat einen bedeutenden politischen Vordenker». Glück habe ein Vermächtnis hinterlassen: Vertrauen sei das wichtigste Kapital der Politik und ob die Menschen den Verantwortlichen zutrauen, die Herausforderungen gut zu bewältigen, so habe es Glück einmal geschrieben.
Glück habe nicht unangemessen zuspitzen und polarisieren müssen, sagt Holetschek, weil er sich seiner intellektuellen Durchschlagskraft bewusst gewesen sei. Glück sei ein Homo politicus im besten Sinne gewesen.
Für das Amt im ZdK musste Glück bei Donum Vitae kürzertreten
Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), bringt es so auf den Punkt: «Zum Glück hatten wir Glück.» Der Satz sei schon oft im ZdK gefallen, auch in den Jahren von 2009 bis 2015, als Glück ihr Amt innehatte. «Viele atmeten in diesen Jahren auf, wenn irgendwo sein Name fiel», sagt Stetter-Karp. Denn Glück sei kompetent gewesen, strategisch geschickt, aufrecht im Denken und Handeln. «Man konnte sich auf ihn verlassen. Vor allem aber war er ein Mensch.»
Seit 1983 war Glück Mitglied im ZdK, dennoch war es für ihn nicht ganz einfach, dessen höchstes Amt zu übernehmen, denn dafür musste er seine Mitarbeit in Stiftung und Förderkreis von Donum Vitae ruhen lassen – sonst hätten die Bischöfe seiner Wahl möglicherweise nicht zugestimmt. Glück hatte den Verein 1999 mitgegründet, als Rom die deutschen Katholiken zum Ausstieg aus der staatlich anerkannten Schwangeren-Konfliktberatung zwang. Es sei ihm gelungen, mit den Bischöfen in Verbindung und in produktivem Gespräch zu bleiben, sagt Stetter-Karp. Und Mitglied bei Donum Vitae zu bleiben. «Schließlich ging es auch hier um sein Lebensthema: Schöpfung bewahren. Auch dann, wenn’s schwierig wird.»
Katholischsein habe für Glück bedeutet, ein kritischer Katholik zu sein. Das habe sich besonders gezeigt als der Missbrauchsskandal öffentlich wurde. Glück sei auch in schwierigen Etappen seines Lebens im Gespräch geblieben, sagt Stetter-Karp. Ihm sei die Verbindung zu Menschen gelungen und ihm sei Veränderung gelungen. «Vor allem gelang es ihm, mit Gott zu gehen, wie mir scheint.»
Unter den Trauergästen sind viele amtierende Politiker verschiedener Parteien, aber auch der frühere Bundespräsident Horst Köhler, die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Norbert Lammert, die ehemalige Bildungsministerin und Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan (alle CDU). Und die Weggefährten der eigenen Partei: Die ehemaligen CSU-Chefs Theo Waigel und Erwin Huber, die Ex-Minister Otto Wiesheu, Kurt Faltlhauser, Eberhard Sinner und andere. Und Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber, den Glück mit seiner Bedächtigkeit oft gebremst, aber eben auch ergänzt hat.