Sie waren schon ziemlich früh an diesem Abend prächtiger Stimmung im Killut-Café: Die sozialliberale Demokraatit-Partei, die bei den letzten Parlamentswahlen auf gerade mal neun Prozent gekommen war, übersprang in den erFjesen
sten Hochrechnungen bereits deutlich die 20-Prozent-Marke. Als dann die entscheidenden Zahlen aus Nuuk kamen, der Hauptstadt, in der mehr als ein Drittel der grönländischen Bevölkerung lebt, hörte man die Freudenschreie durch die ganze Innenstadt: 30 Prozent. Ein Triumph.
Und mittendrin ein 33-jähriger Mann, der alle anderen überragte, sowohl was die Körpergröße angeht als auch das Ergebnis: Niemand konnte auch nur annähernd so viele Direktstimmen ergattern wie Jens-Frederik Nielsen, der hochgewachsene Parteivorsitzende und mehrmalige grönländische Badmintonmeister, der nun neuer grönländischer Premierminister werden dürfte.
Jens-Frederik Nielsen studierte Sozialwissenschaften und trat während des Studiums der Demokraatit bei. Als die sozialliberale Partei in der vorletzten Legislaturperiode mit damals nur drei Sitzen im Parlament Juniorpartner der Sozialdemokraten war, wurde Nielsen Handels- und Industrieminister. Einen Monat später wählte die Partei ihn ohne Gegenstimme zum Parteivorsitzenden.
Das ultimative Ziel ist die Unabhängigkeit von Dänemark
Nielsens sozialliberale Demokraatit hat in ihrem Wahlprogramm die Unabhängigkeit von Dänemark zum „ultimativen Ziel“ erklärt. Noch im Herbst liebäugelte die Partei mit einem Assoziierungsabkommen mit den USA, ähnlich wie es die Marshallinseln oder Palau getroffen haben. Aber dann kam Trump mit seinen Drohungen, die Insel zu übernehmen, und den Versprechungen, die Grönländer reich zu machen, was auf der Insel als anmaßend und übergriffig wahrgenommen wurde und viele an ordinäres Kolonialherrengebaren erinnerte. „Wir distanzieren uns zunehmend von den Aussagen des US-Präsidenten“, sagte Nielsen und sprach von einer „Bedrohung unserer politischen Unabhängigkeit“. Er betonte in den vergangenen Tagen mehrfach, die Bevölkerung wolle weder dänisch noch amerikanisch, sondern grönländisch sein, und kritisierte die Amerikaner scharf für ihre wiederholten Versuche der offenen Einflussnahme.
Nielsen, der als besonnen, pragmatisch und überlegt gilt, betonte am Wahlabend, die drängendsten Themen der Grönländer seien innen- und wirtschaftspolitischer Natur: eine wirtschaftliche Stärkung der Fischerei, der Wohnungsmangel, Verbesserungen im Gesundheitswesen. Grönländer und Grönländerinnen haben eine um etwa zehn Jahre geringere Lebenserwartung als Däninnen und Dänen.
Die dänische Regierung reagierte recht erfreut auf Nielsens Wahl. Außenminister Lars Løkke Rasmussen sagte, dass man gemeinsam mit Nielsen „eine gute Beziehung im dänischen Reich wiederherstellen kann“ und merkte an, dass mehr Unabhängigkeit voraussetze, dass Grönland wirtschaftlich selbständiger wird. „Ich würde mich freuen, wenn wir in diesem Bereich zusammenarbeiten könnten. Es gibt ein riesiges, riesiges, riesiges Potenzial“.
Nielsen will mit allen Parteien Koalitionsgespräche führen, also auch mit der rechtspopulistischen Naleraq, die für eine sofortige Loslösung von Dänemark ist und zweitstärkste Partei wurde. Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Koalition mit der bisherigen Regierungspartei Inuit Ataqatigiit, die ebenfalls für eine Unabhängigkeit von Dänemark plädiert, aber immer wieder betont, dass es bis dort noch ein langer Weg sei. Nielsen sagte am Wahlabend, man werde mit Dänemark Verhandlungen über einen „Fahrplan für die Unabhängigkeit“ aufnehmen, betonte aber, was die Staatsgründung betreffe, müsse man „zunächst das Fundament legen. Wir werden das Haus nicht vom Schornstein abwärts bauen“. Was ja in Zeiten, in denen weltweit kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint, nach geradezu beeindruckender Stabilität klingt.