Juristen können stundenlang schwindelerregend abstrakt daherreden, aber manchmal bringen sie mit einem Bild die Dinge auf den Punkt. Ulrich Maidowski versuchte also, das Nachdenken über die Frage, was der deutsche Staat in fernen Weltregionen zum Schutz der Grundrechte tun muss, in einen Garten zu verlegen. Einen Garten, den der Nachbar – bewaffnet und in böser Absicht – nur deshalb betritt, weil er dort ein besseres Schussfeld hat, um seinen Feind zu erschießen. Was heißt das für den Grundstückseigentümer? Muss er einschreiten? Trifft ihn – um in die Juristensprache zurückzukehren – eine „Schutzpflicht“ für das mögliche Opfer?
Der Garten im Bild des Verfassungsrichters ist Deutschland, und der Nachbar sind die USA, die in diesem Garten einen Luftwaffenstützpunkt errichtet haben, im rheinland-pfälzischen Ramstein. Und zwar auch, um ein besseres Funkfeld in den Nahen Osten und nach Afrika zu haben, eine satellitengestützte Verbindung zu fliegenden und manchmal schießenden Drohnen. Das heißt: Das Funkfeld wird mitunter auch zum Schussfeld. Deutschland schießt nicht, aber Deutschland duldet, dass jemand anders schießt. Was sagt das Grundgesetz dazu? Wie weit reicht die deutsche Verantwortung?
Zwei tote Menschen im globalen Drohnenkrieg
Es ist ein Fall aus dem Jahr 2012, der dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit gibt, zu dieser rechtlich noch nicht geklärten Frage Stellung zu nehmen. Geklagt haben zwei Jemeniten aus der Region Hadramaut, die im globalen Drohnenkrieg der USA zwei ihrer Angehörigen verloren haben, einen Geistlichen und einen Polizisten. Sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort, wie man so sagt, im Gespräch mit Al-Qaida-Islamisten, die der Geistliche kritisiert hatte. Das Treffen endete für alle Beteiligten tödlich, weil von einer US-Drohne mehrere Raketen abgefeuert wurden – auf die Islamisten. So steht es in der Beschwerdeschrift, die die Bürgerrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) formuliert hat.
Die Konstellation ist mithin komplizierter, als das Bild von Nachbars Garten vermuten lässt. „Die äußere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands beruhen maßgeblich auf der Kooperation mit Verbündeten“, gab Thomas Hitschler zu Protokoll, er ist parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Für eine glaubwürdige Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit sei eine starke Präsenz der USA in Deutschland unverzichtbar. Das Grundgesetz stehe für eine grundsätzliche Achtung fremder Rechtsordnungen, „auch wenn sie der deutschen Rechtslage widersprechen“.
Der Nachbar, heißt das, hielt sich also ganz zu Recht in unserem Garten auf. Und falls er diesen Garten für Aktivitäten nutze, die nicht im Einklang mit der deutschen Sicht auf die Grenzen des humanitären Völkerrechts stünden, könne dies nicht ohne Weiteres dazu führen, dass Deutschland in Karlsruhe verklagt werden könne, um etwas gegen die US-Streitkräfte zu unternehmen. Sonst könnten sich am Ende ganze Weltregionen ans Bundesverfassungsgericht wenden, fügte Sebastian Graf von Kielmansegg an, der juristische Bevollmächtigte der Bundesregierung.
Wie weit reichen Schutzpflichten über die Grenzen hinaus?
Wie weit also reicht der Schutz des Grundgesetzes – der Schutz für Ausländer im Ausland vor anderen Ausländern, nämlich den Amerikanern, deren Piloten tödliche Waffen lenken? Diese sitzen zwar in den USA. Aber sie sind in den USA über Glasfaser mit dem Knotenpunkt Ramstein verbunden. Dieser ist zentral für den ferngesteuerten Krieg. Direkte Funkstrecken von den USA in den Nahen Osten sind nicht möglich.
Die verfassungsrechtliche Figur, über die in Karlsruhe verhandelt wurde, lautet „Schutzpflicht“. Das ist eine neuere, aber schon gut etablierte Dimension des Grundrechtsschutzes, sie wirft die Frage auf: Muss der deutsche Staat zum Schutz jemenitischer Bürger einschreiten, obwohl er für ihre Bedrohung nicht direkt verantwortlich ist?
Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats schienen durchaus geneigt zu sein, womöglich global wirkende Schutzpflichten nicht gänzlich zu verwerfen. Vizepräsidentin Doris König, selbst Berichterstatterin in dem Verfahren, erinnerte daran, dass das Gericht zum Beispiel im Klimabeschluss erwogen hatte, solche über die eigenen Grenzen hinausreichenden Schutzpflichten beim Ausstoß Kohlendioxid anzunehmen.
Doch dass Karlsruhe die Bundesregierung zu mehr verpflichtet als zu diplomatisch verträglichen Bemühungen, dürfte nach der Verhandlung eher unwahrscheinlich sein. Denn schon die Frage, ob die Drohnenflüge wirklich gegen Völkerrecht verstoßen, ist hochumstritten. Grundsätzlich dürfen sie auch in Konflikten wie in Jemen zum Einsatz kommen. Zwar dürfen Zivilisten nicht gezielt angegriffen werden. Aber dass sie als sogenannter Kollateralschaden Opfer solcher Angriffe werden, verstößt keineswegs in jedem Fall gegen das Völkerrecht.
An dieser Stelle tauchten in der Verhandlung die Worte Einschätzungsspielraum und Vertretbarkeitskontrolle auf, die man auch mit richterlicher Zurückhaltung übersetzen kann. Selbst wenn der Verdacht im Raum steht, die USA nehme es bei ihren gezielten Tötungen mit dem Völkerrecht nicht so genau: Darf Karlsruhe allein deshalb ins transatlantische Bündnis grätschen? Das Gericht wisse nicht viel über die Einsatzdoktrin der US-Streitkräfte, die erhebliche Schwärzungen enthalte, sagte König: „Und wir können die Sache von hier aus nicht aufklären.“ Ein Urteil ist in einigen Monaten zu erwarten.