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Nadiem Amiri sank beim Schlusspfiff auf die Knie, ballte die Fäuste und schnappte erst einmal kräftig nach Luft: Der nimmermüde Antreiber des FSV Mainz 05 hatte bei der 3:0-Gala gegen Borussia Dortmund alles aus sich herausgeholt – was die Spieler des Gegners nicht von sich behaupten konnten. Schwerfällig schleppte sich die von Julian Brandt angeführte Schar der Dortmunder zu den mitgereisten Anhängern, die binnen fünf Tagen die ganze schwarz-gelbe Schwankungsbreite vorgeführt bekommen hatten. Die zweite Garde des BVB wirkte am Samstagabend wie die Karikatur eines Champions-League-Finalisten, der zuvor 1:0 in Paris triumphiert hatte. In der elektrisierenden Atmosphäre der Mainzer Arena wurde Dortmund zum willfährigen Aufbauhelfer für die abstiegsbedrohten Gastgeber.
Von einer «in der Höhe verdienten Niederlage» sprach BVB-Kapitän Marco Reus, «wir waren immer einen Schritt zu spät». Er könne verstehen, sagte der Routinier nach seinem vorletzten Spiel für Dortmund, wenn die Mainzer Abstiegskonkurrenz stinkig sei: «Ich erwarte einfach mehr von uns. Das war nicht gut.» Auch Trainer Edin Terzic wirkte bedient, weil seine B-Elf – anders als in der Vorwoche gegen Augsburg (5:1) – kein Bein auf die Erde bekam: «Wir konnten keinen Ball in Ruhe annehmen, sie dagegen jeden. Natürlich nehme ich mich da mit in die Verantwortung.»
Zudem ärgerte den Coach «extrem», mit dem 0:3 definitiv den vierten Platz in der Liga weggegeben zu haben: «Wir wollten die letzten Wochen bis zum Finale so nutzen, dass wir sie zu den besten drei Wochen der Saison machen. Das ist heute komplett daneben gegangen. Wir haben bewiesen, dass wir richtig reifen, erwachsenen Fußball zeigen können. Wir haben leider nicht bewiesen, es konstant zu zeigen.»
Terzic ist enttäuscht, will aber nichts von Wettbewerbsverzerrung hören
Bis auf Verteidiger Nico Schlotterbeck, der sich offenbar mehr Chancen als Mats Hummels ausrechnen darf, diese Woche von Bundestrainer Julian Nagelsmann für die EM nominiert zu werden, begann beim BVB niemand aus der Siegerelf von Paris. Und diesmal passte es von hinten bis vorn nicht. Vor allem in der Abwehr, in der Niklas Süle einen Unsicherheitsfaktor abgab, herrschte Chaos. Allerdings: Mit Vorhaltungen einer möglichen Wettbewerbsverzerrung solle ihm bitte keiner der Mainzer Kellerkonkurrenten kommen, betonte der gefrustete Terzic: «Ich kann verstehen, dass jemand enttäuscht ist. Wir sind aber nicht verantwortlich für die Situation, in der sich die Vereine befinden.»
Unter dem Strich stand ein hochverdienter Erfolg von aufgedrehten und kratzbürstigen Mainzern, die von ihrem Publikum für den immens wichtigen Sieg im Abstiegskampf mit einer Inbrunst und Lautstärke wie sonst nur in den närrischen Tagen gefeiert wurden. Vor Wochen hatten nur kühne Optimisten an die direkte Rettung geglaubt, nun haben sich die Nullfünfer mit der besten Saisonleistung auf Platz 15 gehievt – und eine überaus günstige Ausgangsposition für den letzten Spieltag: Direkt absteigen ist nicht mehr möglich, und beim VfL Wolfsburg reicht aufgrund der guten Tordifferenz bereits ein Unentschieden, um auch die Relegation zu umgehen. In der Verfassung der vergangenen Wochen sollte die Rettung gelingen.
:Das schwarz-gelbe Dilemma des Bundestrainers
Am kommenden Donnerstag wird Julian Nagelsmann seinen Kader für die Europameisterschaft verkünden. Die Spieler des BVB, vor allem Mats Hummels, stellen ihn vor eine schwierige Entscheidung.
Die Mainzer Dampfmacher Amiri und Leandro Barreiro kletterten auf den Zaun, um mit den Fans die übliche Humba-Prozedur anzustimmen. Mittelfeldmann Amiri kam im Winter vom neuen Meister Leverkusen und wurde gewissermaßen zur Symbolfigur der Mainzer Auferstehung. «Ich bin sehr glücklich, ich fühle mich wohl: Mainz gibt mir alles», betonte der Techniker. Nicht mehr zu halten ist das Arbeitstier Barreiro, der mit Benfica Lissabon über einen langfristigen Vertrag einig ist. «Es geht in diese Richtung», bestätigte FSV-Sportdirektor Martin Schmidt. Alle Personalfragen werden indes erst abgearbeitet, wenn der Klassenerhalt geschafft ist.
Jae-Sung Lee nutzt einen Patzer von BVB-Torwart Meyer
Schmidt warnte jedoch davor, an seiner ehemaligen Wolfsburger Wirkungsstätte zu passiv zu agieren. «Auf einen Punkt können wir nicht gehen, wir müssen nach vorn denken.» Und genau dafür haben die Rheinhessen ja ihren dänischen Einpeitscher, den Trainer Bo Henriksen, geholt, der gleich wieder vollmundig zur «Attacke» in Wolfsburg aufrief. Stolze 20 Punkte hat dieser ulkige Coach seit seiner Ankunft geholt. «Der Typ ist eine Legende», schwärmte Amiri: «Er kommt rein, er lacht, er schreit, er tanzt vor den Spielen, das ist unglaublich. Aber in unserer Situation brauchst du einfach diese Energie.»
Dank der galligen Mainzer Gangart stand es gegen Dortmund bereits nach 23 Minuten 3:0. Die Feierstunde leitete ein Fehlpass von BVB- Linksverteidiger Mateu Morey ein, Barreiro erzielte das 1:0 (12.). Als Dortmunds Ersatzkeeper Alexander Meyer einen Freistoß aus dem Strafraum direkt in die Füße von Jae-Sung Lee spielte, schloss der Südkoreaner flink zum 2:0 (19.) ab. Und Lee legte nach Barreiro-Vorlage gleich noch zum 3:0 nach. Bei den bis dahin hilflosen Gästen lief es mit den eingewechselten Stammkräften Jadon Sancho, Ian Maatsen und Brandt nach der Pause zwar etwas besser. Doch vom Anspruch einer Mannschaft, die bald in Wembley gegen Real Madrid um die Krone Europas spielt, blieb Dortmund bis zum bitteren Ende so weit entfernt wie das später auch über der Stadt Mainz strahlende Polarlicht.