In Russland werden nach einer gerichtlichen Anordnung Vermögenswerte der Deutschen Bank und der Commerzbank beschlagnahmt. Hintergrund ist der ursprünglich geplante Bau einer Gasverarbeitungsanlage durch den Linde-Konzern im Ostsee-Hafen Ust-Luga, an deren Finanzierung sich beide Institute beteiligen wollten. Verträge dazu wurden im Sommer 2021, also vor Kriegsbeginn unterschrieben. Linde hatte die Arbeiten an dem Projekt wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland jedoch aufgegeben.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters geht aus Unterlagen des Gerichts in St. Petersburg hervor, dass bei der Deutschen Bank bis zu 238 Millionen Euro an Wertpapieren, Immobilien und Guthaben des Kreditinstituts und seiner russischen Tochtergesellschaft betroffen sind. Die Deutsche Bank hatte eine Anzahlungsgarantie für die Gasverarbeitungsanlage gegeben. Auftraggeber von Linde war das Unternehmen RusChemAlliance, das zur Hälfte dem staatlichen Gazprom-Konzern gehört. RusChemAlliance klagte auf die Zahlung von rund 238 Millionen Euro, die die Deutsche Bank mit Verweis auf die Sanktionen abgelehnt hatte. Bei der Commerzbank ordnete das Gericht die Beschlagnahmung von Vermögenswerten im Volumen von 93,7 Millionen Euro sowie von Wertpapieren und des Gebäudes der Bank im Zentrum Moskaus an.
Betroffen ist auch die italienische Großbank Unicredit
Betroffen von dem geplatzten Linde-Projekt ist auch die italienische Unicredit. Die Richter in Sankt Petersburg ließen bei ihr Vermögen und Eigentum im Wert von rund 460 Millionen Euro beschlagnahmen.
Die Deutsche Bank erklärte, sie habe Rückstellungen über 260 Millionen Euro für den Fall gebildet. Diese Summe sei aber durch eine Entschädigungsvereinbarung mit einem Kunden vollständig abgesichert. «Es bleibt abzuwarten, wie diese Entscheidung von den russischen Gerichten umgesetzt wird und welche Folgen dies für unseren operativen Betrieb in Russland hat», sagte die Bank.
Die Beschlagnahmung dürfte eine der härtesten Maßnahmen seit Kriegsbeginn gegen europäische Banken sein. Sie könnte im Zusammenhang stehen mit einem Brief der Europäischen Zentralbank an die von ihr beaufsichtigten Banken von Mitte Mai. Die Bankenaufseher der EZB hatten darin gefordert, die Geldhäuser sollten sich mit ihren Rückzugsplänen beeilen, weil ansonsten härtere Maßnahmen der Amerikaner zu erwarten seien.
Die US-Regierung verfolgt die verbleibenden Geschäfte europäischer Banken in Russland genau. Allen voran die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI) ist deswegen zuletzt immer stärker unter Druck geraten. Anders als andere europäische Kreditinstitute, macht die zweitgrößte österreichische Bank noch immer keine Anstalten, sich aus Russland zurückzuziehen. Vergangene Woche hieß es laut der Nachrichtenagentur Reuters sogar, die US-Sanktionsbehörde Office of Foreign Assets Control (OFAC) habe in einem neuen Schreiben an die Bank ihre Besorgnis über die angebliche Expansion der RBI in Russland geäußert. Die Expansion stehe im Widerspruch dazu, dass die Bank zugesichert habe, ihre russischen Aktivitäten abzubauen. In dem Brief vom 6. Mai warnte der stellvertretende Finanzminister Wally Adeyemo, er könne nicht ausschließen, dass der Bank der Zugang zum US-Finanzsystem beschränkt werde.
Viele westliche Banken haben ihr Geschäft längst heruntergefahren
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die meisten westlichen Banken ihre Geschäfte in Russland heruntergefahren und ihre Mitarbeiter teilweise aus dem Land geholt. Die Deutsche Bank macht dort seither kein Neugeschäft mehr, vergibt also zum Beispiel keine neuen Kredite. Die Risikopositionen in Russland seien zuletzt von 3,5 Milliarden im Jahr 2021 auf 1,7 im Jahr 2022 gesunken, wie die Bank diese Woche auf ihrer Hauptversammlung sagte. 2023 habe die Bank in Russland zudem noch 16 Millionen Euro Ertragssteuern gezahlt. Vor dem Angriffskrieg beschäftigte sie rund 1700 Mitarbeiter in Russland, vor allem im IT-Bereich, heute sind es laut Geschäftsbericht nur noch 180 Mitarbeiter.
Vor dem Angriff auf die Ukraine allerdings haben auch deutsche Banken über Jahre geholfen, Putins Macht und die russische fossile Wirtschaft, auf die sie gründet, zu stärken. Die Deutsche Bank zum Beispiel war laut der Organisation Urgewald auf Platz vier der europäischen Banken, die in den letzten fünf Jahren vor Kriegsbeginn die vier führenden russischen Öl- und Gasfirmen Gazprom, Lukoil, Rosneft und Novatek durch Konsortialkredite unterstützt hatte. Die russischen Truppen standen Ende 2021 schon an der ukrainischen Grenze, als die Deutsche Bank, zusammen mit anderen Geldhäusern, noch 870 Millionen Dollar Kredit an eine Ölfirma in Irkutsk vergeben hatte. Die Bank verwies damals stolz auf die «lange Geschichte, wichtige Infrastrukturprojekte in Russland zu unterstützen». Wenige Tage zuvor hatte das Geldhaus neue Büroräume in Moskau eröffnet, auch das ein Zeichen: man stehe voll zum russischen Markt.
Wenige Jahre zuvor war herausgekommen, dass die Deutsche Bank mit Hilfe von Aktien-Spiegelgeschäften Oligarchen geholfen hatte, rund zehn Milliarden Dollar außer Landes zu schaffen. Allen voran die Amerikaner beäugten das Engagement des Instituts dort seither mit Argusaugen, ihr Investmentbanking in Moskau musste sie teilweise herunterfahren. Schließlich versuchte der US-Kongress sogar herauszufinden, ob Präsident Wladimir Putin 2016 womöglich Einfluss auf die US-Präsidentenwahl genommen hatte, eventuell sogar über die Deutsche Bank. Belege gab es nie dafür, aber die These hält sich bis heute. Die Fantasie wurde schon allein von dem Umstand beflügelt, dass Trump ein Großkunde der Deutschen Bank war.