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Gebrochene Dämme, geflutete Wohngebiete, überspülte Autobahnen, Zehntausende Rettungskräfte und Bundeswehrsoldaten im Hochwassereinsatz: Die Menschen in Bayern und Baden-Württemberg erleben dramatische Tage. Nach tagelangem Dauerregen waren am Wochenende Flüsse und Bäche über die Ufer getreten, Hunderte Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Im oberbayerischen Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm kam ein Feuerwehrmann bei einem Einsatz ums Leben.
Evakuierungen waren auch am Montag noch in mehreren Regionen im Gange. Nach unkontrollierbaren Dammbrüchen drohten weitere Überflutungen. In mehreren bayerischen Landkreisen war der Katastrophenfall ausgerufen worden, die Hochwasserlage dort spitzte sich zu, während die ersten Einsatzkräfte in Baden-Württemberg vorsichtig aufatmen. Unterdessen steigt das Wasser der Donau immer weiter, Regensburg rief Montagfrüh den Katastrophenfall aus. Das Land Nordrhein-Westfalen schickte fünf Wasserrettungszüge mit je 48 Helfern, zehn Fahrzeugen, acht Anhängern und sechs Booten ins Hochwassergebiet nach Landau an der Isar.
Laut Ministerpräsident Söder waren landesweit rund 40 000 Einsatzkräfte unterwegs
In der Nacht zum Sonntag war ein Feuerwehrmann bei einem Einsatz mit dem Schlauchboot gekentert und am frühen Morgen tot geborgen worden. Ein Vertreter der Feuerwehr sagte, im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm herrsche ein unberechenbares Hochwasser, «das wir so auch noch nie verzeichnen mussten». Die Prämisse laute nun: Schutz von Leib und Leben. Bei Stromarbeiten im Landkreis Freising wurde ein Mann lebensgefährlich verletzt. Laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) waren landesweit rund 40 000 Einsatzkräfte unterwegs. Ein Damm brach, kurz bevor Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zusammen mit Söder den Nachbarort Reichertshofen besuchte. Söder rechnet damit, dass das Hochwasser noch bis zur Wochenmitte die Katastrophenschutzbehörden im Freistaat beschäftigen wird. «Es geht zwar etwas zurück, aber eine Totalentwarnung kann man nicht geben», sagte er am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Einsatzkräfte hatten am Montagvormittag einen im Hochwasser vermissten Feuerwehrmann im schwäbischen Offingen noch nicht gefunden.
Die Autobahn A 9 war am Sonntag auf einer Länge von rund 50 Kilometern gesperrt. Betroffen war eine Strecke zwischen Allershausen und Ingolstadt, die Fahrbahn war teilweise überspült. Laut eines Polizeisprechers sei ein Hochwasser dieses Ausmaßes in diesem Bereich neu.
Bilder aus Hochwasser-Gebieten
:Wie Bayern gegen den Regen kämpft
Nicht nur die Donau wird zur Gefahr, vielerorts wurden aus kleinen Flüssen und Bächen reißende Gewässer. Eindrücke aus den Unwettergebieten.
Auch der Zugverkehr ist stark eingeschränkt. Die Deutsche Bahn rät weiterhin von Fahrten nach Süddeutschland ab. München kann von Stuttgart, Würzburg und Nürnberg aus nicht angefahren werden. Dies könnte der Bahn zufolge den gesamten Montag über andauern.
Im überfluteten Uferbereich der Isar bestand Lebensgefahr
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird sich am Montag ein Bild von der Lage in den Hochwassergebieten machen, gemeinsam mit Söder und dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wird nach Reichertshofen kommen. In Scholz’ Terminkalender stand ursprünglich für Montag in München ein Besuch der Fan-Zone für die Fußball-EM sowie der 75-Jahr-Feier der Deutschen Journalistenschule im Prinzregententheater. Auch in München war die Feuerwehr am Wochenende im Dauereinsatz, im überfluteten Uferbereich der Isar bestand Lebensgefahr.
In Baden-Württemberg waren am Samstagabend zwei Waggons eines ICE mit 185 Passagieren in Schwäbisch Gmünd nach einem Erdrutsch entgleist. Die Passagiere blieben unverletzt. Auf dem Rhein und Neckar wurde teilweise der Schifffahrtsverkehr eingestellt, viele Orte waren überflutet.
Und wo war nun das viele Wasser hergekommen?
Aktivisten der Organisation «Fridays for Future» riefen am Sonntag vor dem Bayerischen Landtag zu dringendem Handeln für einen besseren Klimaschutz auf. Die gegenwärtigen Überschwemmungen «sind nicht normal, und vor allem dürfen sie nicht normal werden», sagte eine Sprecherin.
Und wo war nun das viele Wasser hergekommen? Extreme Wetterlagen wie diese entstehen nicht über Nacht, sie haben meist eine längere Vorgeschichte. Im aktuellen Fall reicht sie, wenn man so will, bis in den März zurück. Normalerweise weht im Winterhalbjahr hoch oben in der Stratosphäre ein Windband stetig in West-Ost-Richtung um den Nordpol. Dieser Polarwirbel brach jedoch Anfang März zusammen, und der Wind wehte rund drei Wochen lang in die Gegenrichtung.
Solche Ereignisse kommen etwa alle zwei Jahre vor und gehen mit einer heftigen Erwärmung in der Stratosphäre einher. Im Anschluss kann sich der Polarwirbel oft wieder erholen, der Wind weht dann wieder kräftig im Kreis, bis der Wirbel im April mit einem «Final Warming» endgültig zusammenbricht. In diesem Jahr aber kam es anders, der Wirbel erholte sich nur halb und dümpelte vor sich hin, bis in den April hinein war es in der Stratosphäre deutlich wärmer als üblich. Stratosphären-Störungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für hartnäckige Hochdruckgebiete weit nördlich, wie es DWD-Meteorologe Helge Tuschy in einer Übersicht zur aktuellen Wetterlage beschreibt.
Klar ist, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und auch wieder abgeben kann
In diesem Jahr zeigte sich das im Mai mit einem stabilen Hoch über Skandinavien. So eine Lage blockiert die übliche Strömungsautobahn, auf der Hoch- und Tiefdruckgebiete eigentlich zügig von West nach Ost über Mitteleuropa ziehen. Stattdessen verkantet sich das Wetter. «Der tiefe Druck über Westeuropa schaufelt auf seiner Vorderseite immer wieder feuchte Luftmassen nach Mitteleuropa», schreibt Tuschy. So kann auch die gefürchtete Vb-(sprich: Fünf-b-)Wetterlage entstehen, bei der Tiefs sich im Mittelmeerraum mit warmer, feuchter Luft vollsaugen und von dort statt nach Osten nach Norden ziehen, um ihre Feuchtigkeit eimerweise über relativ kleinem Raum abzugeben – das ist es, was aktuell passiert ist.
Die Lage vom Wochenende sei prinzipiell ähnlich der Situation vor dem Mai-Hochwasser im Saarland, oder auch vor der Hochwasserkatastrophe 2021 im Ahrtal, sagt Tuschy. «Diese Lagen kommen in den vergangenen Jahren häufiger vor», sagt er. Inwiefern das mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist noch nicht komplett geklärt. Klar ist aber, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und auch wieder abgeben kann.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat alle Unwetterwarnungen vor schweren Gewittern mit Starkregen für Deutschland aufgehoben. Weiterhin gibt es demnach vor allem in Süddeutschland aber noch gebietsweise schauerartige Regenfälle mit Potenzial für Starkregen, wie der DWD am frühen Montagmorgen mitteilte. Ab Mittag sollen dann vor allem Gebiete südlich der Donau sowie am Bayerischen Wald betroffen sein.