Geschäftsordnungsfragen sind oft auch Machtfragen – das lernt der Polit-Nachwuchs bereits in den Jugendorganisationen der Parteien. Man sollte derlei Fragen deshalb nicht unterschätzen. Das hat sich auch am Freitagmorgen im Bundestag gezeigt. Auf der Tagesordnung des Parlaments stand als erster Punkt knapp und scheinbar dröge „Geschäftsordnungsdebatte“. Aber die hatte es dann in sich. Denn es ging plötzlich um die Frage, ob die deutsche Volksvertretung ihre Arbeit erledigt – oder sträflich vernachlässigt.
Seit dem Zerfall der Ampelkoalition geschieht im Plenum des Bundestags kaum noch etwas. Am Donnerstag und Freitag hat das Parlament zwar wie üblich um neun Uhr zu tagen begonnen. Doch am Donnerstag war die Sitzung schon um 11.20 Uhr wieder zu Ende, am Freitag sogar um 10.40 Uhr. Und die Tagesordnungen waren kärglich. Am Donnerstag wurde nur ein einziger Gesetzentwurf verabschiedet – am Freitag gar keiner.
Doch die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU setzten dann sogar noch einen drauf: Sie beantragten am Freitag gemeinsam die komplette Streichung der gesamten nächsten Sitzungswoche. Deshalb gab es die Geschäftsordnungsdebatte. Und in der erhoben die Linke, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD dann schwere Vorwürfe gegen die übergroße Koalition aus Ex-Ampelfraktionen und Union.
Die Opposition beschwert sich, man wolle sie hindern, Entwürfe einzubringen
Deutschland stecke in mehreren Krisen, sagte der Linken-Abgeordnete Christian Görke. „Der Krieg in Europa, eine Regierung geht krachen, die Automobilindustrie liegt am Boden, die Leute konsumieren nicht, und die Altersarmut steigt – und Sie stellen im wahrsten Sinne des Wortes die inhaltliche Arbeit hier ein und begeben sich auf eine Art parlamentarische Schleichfahrt.“ Damit würde die Opposition auch der Möglichkeit beraubt, Gesetzentwürfe zur Meinungsbildung ins Parlament einzubringen. „Mit anderen Worten: Sie verweigern sich nicht nur Ihrer Arbeit, sondern lassen uns unsere Arbeit nicht machen.“
Der Bundestag dürfe seine Arbeit nicht einstellen, „nur weil eine ohnehin unfähige Bundesregierung auseinanderfällt“, forderte auch die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti. „Auf diese Weise reduzieren Sie und kastrieren Sie die Parlamentsarbeit, die Freiheit des Mandats“, warf der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann den Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und Union vor.
Die vier Fraktionen stimmten dann trotzdem für die Aufhebung der nächsten Sitzungswoche – sie war für 25. bis 29. November geplant. Der Bundestag kommt jetzt erst Anfang Dezember wieder zusammen.
Es geht auch um Tagesordnungen und darum, dass nichts nur dank der AfD verabschiedet wird
Rednerinnen und Redner von SPD, Grünen, FDP und Union verteidigten ihr Vorgehen in der Geschäftsordnungsdebatte. Sie verwiesen darauf, dass die jetzt gestrichene Sitzungswoche für Haushaltsberatungen reserviert gewesen sei. Da es wegen des Scheiterns der Ampelkoalition aber keine Mehrheit für eine Haushaltsplanung mehr geben würde, könne man auf diese Beratungen verzichten.
Der Linke Görke wollte dieses Argument jedoch nicht gelten lassen. Die Haushaltswoche sei, wenn es keinen Haushalt gebe, eine ganz normale Sitzungswoche mit Regierungsbefragung und Fragestunde, um die Regierung zu kontrollieren, sagte Görke. Das werde jetzt verhindert.
Die Debatte um die Sitzungswochen dürfte sich noch verschärfen. Denn im kommenden Jahr sind in der Zeit bis zur Neuwahl am 23. Februar bisher noch vier Sitzungswochen des Bundestags geplant. Doch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach sich am Freitag bereits dafür aus, diese vier Wochen auf eine Sitzungswoche und zwei weitere Sitzungstage zu reduzieren.
Die Unionsparteien, aber auch SPD und Grüne, versuchen mit ihrem Vorgehen bei der Anberaumung von Sitzungswochen oder der Aufstellung der Tagesordnungen zu verhindern, dass gegen ihren jeweiligen Willen Gesetzentwürfe verabschiedet werden können. Und dass Linke, BSW oder AfD sie mit Anträgen inhaltlich vorführen können. Außerdem wollen sie sicherstellen, dass keine Vorhaben nur dank der Zustimmung der AfD Mehrheiten finden. Und da kann dann eben auch die Geschäftsordnung helfen.