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Asylpolitik: Showdown zwischen Union und Regierung – Politik

by Marko Florentino
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Eigentlich wollte der Bundestag an diesem Mittwoch über die Parteigrenzen hinweg ein Zeichen der Eintracht setzen. Um zwölf Uhr beginnt im Plenarsaal eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Bundestagspräsidentin will sie eröffnen. Der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werden Reden halten. „Erinnerung kennt keinen Schlussstrich und Verantwortung deshalb auch nicht“, hat Steinmeier am Montag bei einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gesagt. Die damaligen Verbrechen seien „Teil unserer Geschichte und damit auch Teil unserer Identität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen“. An diesem Mittwoch will man das auch im Plenarsaal des Bundestags gemeinsam demonstrieren. Doch ausgerechnet an diesem Tag – und nur eine Stunde nach der Gedenkveranstaltung – dürfte es an selber Stelle zur bisher heftigsten Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf kommen.

Der Bundeskanzler hat eine Regierungserklärung angekündigt. Und die Unionsfraktion will den Tagesordnungspunkt nutzen, um zwei Anträge zur inneren Sicherheit und zur Begrenzung der irregulären Migration in den Bundestag einzubringen. CDU und CSU scheuen sich nicht, dabei auch auf die Stimmen der in Teilen rechtsradikalen AfD zu setzen. Denn um ihre Anträge durchzubringen, braucht die Union nicht nur Stimmen von FDP und BSW, sondern eben auch der AfD. Sozialdemokraten und Grüne überziehen die Unionsparteien deshalb schon seit Tagen mit harten Vorwürfen. An diesem Mittwoch wird nun der Showdown in dem Streit erwartet. Es wird auch ein Rededuell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz, bei dem sich der Kanzler und sein aussichtsreicher Herausforderer nicht schonen werden.

Laut einer Insa-Umfrage unterstützen sogar 56 Prozent der SPD-Wähler den harten Kurs von Merz

Die Union ist dabei in einer zwiespältigen Situation. Auf der einen Seite fühlen viele Abgeordnete nach den Anschlägen von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg in ihren Wahlkreisen starken Rückenwind für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik und bei der inneren Sicherheit. Laut einer Insa-Umfrage unterstützen sogar 56 Prozent der SPD-Wähler den harten Kurs von Merz. Auf der anderen Seite verstößt der CDU-Chef mit seinem Vorgehen gegen ein Prinzip,  für das er selbst geworben hat.

Im vergangenen November hatte Merz im Bundestag gesagt, SPD, Grüne und Union sollten vereinbaren, „dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen hier im Haus in der Sache auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da zustande kommt“. Mit „denen da“ meinte Merz die AfD.

Führende Unionspolitiker versuchten am Dienstag deshalb, die Abkehr von diesem Prinzip zu einer notwendigen Anpassung umzudeuten. „Die Sachlage hat sich verändert“, sagte Thorsten Frei, als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer wichtigster Mann von Merz in der Unionsfraktion. Seit dem Vorstoß des CDU-Chefs im November seien zwei weitere schreckliche Anschläge dazugekommen. Deswegen müsse die Union jetzt auch ihre Politik ändern. „Wir sind an einem Punkt, wo wir uns von taktischen Überlegungen verabschieden müssen – wir müssen die Dinge machen, die gemacht werden müssen“, sagte Frei.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach sogar von einer „migrationspolitischen Zeitenwende“, die jetzt nötig sei. Es gehe der Union „um Klarheit gegenüber der Öffentlichkeit“. Diese Woche werde sich im Bundestag zeigen, welche Fraktionen die Zeitenwende mitgestalten wollen – und welche nicht. An diesem Freitag will die Unionsfraktion deshalb auch ihr sogenanntes „Zustrombegrenzungsgesetz“ zur endgültigen Abstimmung stellen. Im Gegensatz zu den Anträgen vom Mittwoch, die eher appellativen Charakter haben, könnte damit die Rechtslage geändert werden.

Die Unionsfraktion hatte das Gesetz bereits Anfang September – und damit zwei Monate vor dem Scheitern der Ampelkoalition – in den Bundestag eingebracht. Damals bestand noch nicht die Gefahr, dass es nur wegen der Zustimmung von AfD-Abgeordneten Gesetz werden könnte. Am 6. November, und damit wenige Stunden vor dem Ende der Ampelkoalition, hat sich der zuständige Innenausschuss abschließend damit befasst. Seitdem kann das Gesetz jederzeit für die endgültigen Abstimmungen auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt werden. Von diesem Recht macht die Unionsfraktion jetzt Gebrauch.

Appell von SPD-Fraktionschef Mützenich

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Dienstag, er hoffe, dass es in der Union Abgeordnete gebe, die gegen das Gesetz und die beiden Anträge ihrer Fraktion votieren. Im Dezember 2022 hatte die Abstimmung über das Aufenthaltsgesetz der Ampelkoalition gezeigt, dass es in der CDU auch Unmut über den Kurs der Spitze in der Migrations- und Integrationspolitik gibt. Damals enthielten sich 20 Unionsabgeordnete, statt das Gesetz wie die Mehrheit der Fraktion abzulehnen. Unter den Enthaltungen waren viele bekannte Christdemokraten wie Armin Laschet, Hermann Gröhe, Helge Braun oder Norbert Röttgen.

Doch bisher gibt es in der Union fast keinen öffentlichen Widerspruch gegen den Kurs von Merz. „Vier Wochen vor der Bundestagswahl hat der Kanzlerkandidat immer recht“, sagt ein Präsidiumsmitglied zur Begründung. Und ein Vorstandsmitglied verweist auf die Erfahrungen im Bundestagswahlkampf 2021, den die Union doch vor allem durch ihre öffentlichen Streitereien verloren habe. Deshalb seien jetzt viele Skeptiker, wenn auch mit der Faust in der Tasche, Parteisoldaten.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther gilt als Gegner des neuen Umgangs der CDU mit AfD-Stimmen. Aber auch er hält sich bisher öffentlich zurück. Und sein interner Hinweis darauf, das Schleswig-Holstein dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Bundesrat nicht zustimmen könne, ist eigentlich eine Binse. Günther regiert mit einer schwarz-grünen Koalition. Wenn sich die Partner uneins sind, muss sich das Land im Bundesrat enthalten – was dort wie eine Nein-Stimme wirkt.

Sitzt die Union in einer doppelten Glaubwürdigkeitsfalle?

Diejenigen, die sich in der Union Sorgen machen, weisen aber noch auf andere Probleme hin: Wie sollen Koalitionsverhandlungen nach der Wahl vernünftig verlaufen, wenn man sich so hart attackiert? Und wie soll die Union verhindern, in einer doppelten Glaubwürdigkeitsfalle zu landen? Die einen würden der CDU jetzt die harte Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr glauben. Und die anderen würden der CDU trotzdem vorwerfen, nur taktisch zu agieren – aber nichts tatsächlich zu ändern. Denn die beiden Anträge würden in der Praxis nichts bewirken. Und das „Zustrombegrenzungsgesetz“ würde selbst bei einer erfolgreichen Verabschiedung im Bundestag im Bundesrat scheitern. Denn das Gesetz ist zustimmungspflichtig. Die SPD- und Grün-regierten Länder können es deshalb blockieren.

Die große Mehrheit in der Unionsfraktion ficht das aber nicht an. Sie glaubt, dass die Union jetzt beweisen muss, dass sie es ernst meint mit der Wende in der Migrationspolitik. „Die Zeit für Gespräche, für Arbeitskreise und für Diskussionsgruppen ist jetzt vorbei», sagte Merz am Dienstag. Es sei jetzt «die Zeit für Entscheidungen – unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch». Er sehe in der CDU und in der Bundestagsfraktion «eine große Zustimmung und Übereinstimmung, diesen Weg zu gehen“. Auch in den Sitzungen der Landesgruppen der Fraktion am Montagabend habe es von Schleswig-Holstein bis Bayern «uneingeschränkte Zustimmung» gegeben. In der Sitzung der gesamten Unionsfraktion am Dienstagnachmittag bekam Merz dann tatsächlich viel Beifall.

Kritik aus den Kirchen

Heftigen Gegenwind bekamen Merz und seine Christlich Demokratische Union am Dienstagabend dagegen von den Kirchen. In einer gemeinsamen Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe – Katholisches Büro in Berlin – und der Bevollmächtigten des Rates der EKD heißt es, die von der Unionsfraktion vorgeschlagenen Gesetzesänderungen hätten «nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert». Das Zustrombegrenzungsgesetz sei aus Sicht der Kirchen «nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen».



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