Joe Biden flog über den Atlantik, auf dem Weg nach Deutschland, als die Meldung vom Tod des Hamas-Chefs Jahia Sinwar die Runde machte. Jedenfalls offiziell. Sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan informierte die mitreisenden Reporter, die hinten in der Air Force One saßen. Er wisse wegen des fehlenden Wlan-Netzes nicht, ob sie davon gehört hätten, sagte Sullivan, wie später zu lesen war. „Es ist ein guter Tag für die Welt“, sprach der US-Präsident dann nach der Landung in Berlin. Sinwar habe „eine Menge Blut an seinen Händen – amerikanisches Blut, israelisches Blut und anderes“.
Mit Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte er da bereits telefoniert und seine Glückwünsche ausgerichtet, die beiden sind sonst nicht immer einer Meinung. Auch Kamala Harris äußerte sich schnell, mitten im Wahlkampf an der Universität von Wisconsin in Milwaukee. Mit Sinwars Tod sei „der Gerechtigkeit Genüge getan“ worden, sie nannte ihn das Mastermind der Angriffe auf Israel vom 7. Oktober vor einem Jahr.
Jetzt könne der Krieg in Gaza endlich beendet werden, fügte die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten hinzu. Und zwar so, „dass Israel sicher ist, die Geiseln freigelassen werden, das Leiden in Gaza ein Ende hat und das palästinensische Volk sein Recht auf Würde, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung verwirklichen kann“. Es sei an der Zeit, „dass der Tag danach ohne die Hamas an der Macht beginnt“. Große Worte, großes Thema, gut zwei Wochen vor Amerikas großer Wahl, Kamala Harris gegen Donald Trump.
Harris muss in solchen Augenblicken weniger als Wahlkämpferin auftreten denn als Weltpolitikerin. Sie stand vor der US-Flagge am Pult mit dem Wappen der Vizepräsidentin. Aber kümmert ihre Landsleute das überhaupt? Es heißt ja immer, Außenpolitik sei in amerikanischen Wahlkämpfen eher kein Thema. „It’s the economy, stupid“, man erinnert sich. James Carville formulierte 1992 diesen Satz, der zum geflügelten Wort wurde.
Bill Clinton gewann damals gegen den republikanischen Amtsinhaber George Bush, Carville war Bill Clintons Stratege. Auf die Wirtschaft also kommt’s an, Dummkopf. Das ist auch in den USA im Herbst 2024 keine falsche Erkenntnis. Es geht um die Preise im Supermarkt, an der Tankstelle, für Häuser und deren Hypotheken. Alles recht teuer, wenn auch zunehmend stabil. Trump wettert bevorzugt über die Inflation und noch lieber über die Immigration, das sind seine beliebtesten Angriffsziele.
Trump geriert sich mal wieder als starker Mann
Harris dagegen verweist wie Biden auf das weltweit beneidete US-Wachstum nach der Pandemie, die geringe Arbeitslosigkeit, die vielen Jobs. Sie will es noch besser machen, wenn sie gewählt wird, und vor allem die Mittelklasse stärken. Trump plant Steuersenkungen, die nicht zuletzt die Reichsten beglücken würden; zu seinen Unterstützern zählen Milliardäre wie Elon Musk. Auch hat er vor, die Zölle für Importe weiter zu erhöhen und ansonsten massenweise Einwanderer ohne Papiere auszuweisen.
Diese Drohung gehört zur Außenpolitik, denn die USA teilen lange Grenzen mit Kanada und Mexiko, verbunden als Freihandelszone Nafta. Millionen Immigranten müssten vor allem in den Süden zurückgeschickt werden, menschlich, diplomatisch und ökonomisch kaum vorstellbar. Und da ist noch etwas, auf das Trump setzt: Er spricht bei jeder Gelegenheit davon, dass es während seiner Amtszeit im Weißen Haus keine Kriege gegeben habe, obwohl das wie viele seiner Theorien nicht so ganz der Wahrheit entspricht.
Er geriert sich als der starke Mann, der anders als der schwache Joe Biden und dessen unerprobte Stellvertreterin die Störenfriede auf der Erde beeindruckt. Seine Republikaner haben es außerdem geschafft, das Inland mit dem Ausland zu verbinden: Sie sagen, die USA müsse eher die eigene Südgrenze sichern als fernen Ländern wie der Ukraine all die Waffen und Milliarden Dollar zu spendieren. Um ihre Verteidigung sollten sich die Europäer und die Deutschen selbst kümmern.
Biden und Harris argumentieren ein wenig komplizierter: Das eine (der Schutz der eigenen Grenzen) schließe das andere (Hilfe für bedrängte Staaten) nicht aus, und Despoten wie Wladimir Putin müssten von der westlichen Allianz gestoppt werden. Deshalb will Biden bald seinen geplanten Ukraine-Gipfel am US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz nachholen. Und die Bewerberin Harris sagt, dass Trump in der Welt eine Lachnummer sei und man seine Sympathie für Autokraten ja kenne.
Wie das am Wahltag verfängt? Sicher ist, dass ein Teil der Wählerschaft sich durchaus für außenpolitische Dinge interessiert. Nicht wenige halten China für gefährlich. Sicher ist auch, dass viele bedrückt die Gewalt in Israel, Gaza, in Libanon und Iran beobachten. Doch was folgt daraus? Für das linke Lager der Demokraten üben Biden und Harris zu wenig Druck auf Netanjahu aus, für das rechte Lager zu viel. Bei arabischstämmigen und muslimischen Wählern ist die Begeisterung für die US-Regierung deutlich abgeflaut. Besonders in Michigan, wo viele Amerikaner mit arabischen Wurzeln leben, könnte das durchaus Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Sicher mehr als die Frage, ob eine Transatlantikerin ins Weiße Haus zieht oder ein bekennender Isolationist.