Die bayerische Staatsregierung will mit einem Paket an Maßnahmen und Fördermitteln die Kernfusion erforschen lassen. Bei dieser werden Atomkerne anders als in Reaktoren herkömmlicher Meiler bei extremen Temperaturen verschmolzen statt gespalten; theoretisch lassen sich damit riesige Energiemengen erzeugen. Aber es gibt weder eine Garantie, dass das Vorhaben kommerziell nutzbar gelingt, noch eine Zeitplanung. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach am Dienstag nach dem Kabinett von „einer der großen Hoffnungen“ und der „Fusions-Chance“. Das Thema schien weit weg zu sein, sagte er, sei aber „mittlerweile sehr realistisch“ – was man an Milliardensummen weltweit für Forschung und Start-ups sehen könne. Man müsse aufpassen, dass man in Deutschland bei neuen Technologien „nicht nur die Rücklichter“ sehe, etwa der USA oder von China.
Im Kabinettsbericht heißt es: Die Ausgangslage für Impulse auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung dieser Technologie sei „ausgezeichnet“ – denn der Freistaat verfüge über Know-how in fusionsrelevanten Technologien. Mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München sei eines der weltweit führenden Zentren der Magnet-Fusionsforschung hier beheimatet. Bayern solle künftig „Taktgeber“ werden.
Eine im vergangenen Jahr berufene Expertenkommission zur Kernfusion hat der Staatsregierung am Dienstag Empfehlungen vorgelegt. Demnach soll eine Plattform zur Koordinierung von Wissenschaft und Wirtschaft entstehen. Und ein „Fusion Campus“: Dieser solle die Möglichkeit für einen Demonstrations-Reaktor auf den Weg bringen – es sei das große Ziel, so Söder, Europas ersten dieser Art in Bayern zu haben. Dies sei nach Einschätzung der Experten in den 2040er-Jahren möglich. Die Auswahlprozesse laufen derzeit, hieß es. Um Kompetenzen an einzelnen Hochschulen aufzubauen, sind bis 2028 zunächst 100 Millionen Euro eingeplant. Konkret für bis zu sechs neue Lehrstühle zur Kernfusion, bis zu 20 Nachwuchsforscher-Gruppen und einschlägige Lehrangebote.
KI-Rechenzentren hätten den Strombedarf einer Stadt wie Regensburg
Söder erklärte die Notwendigkeit mit dem Energiebedarf des Landes. Dieser sei hoch wie nie und steige weiter, durch die Elektrifizierung und Digitalisierung des Lebens. Bayern lägen etwa Angebote für neue Rechenzentren für künstliche Intelligenz vor, die den Strombedarf der Stadt Regensburg hätten. Die Mission Kernfusion kündigte Söder schon im September 2023 an, wenige Monate nachdem die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet worden waren. Auch am Dienstag nannte er den Ausstieg aus der Kernenergie einen „fundamentalen Fehler“. Er forderte, die drei letzten Meiler zu reaktivieren, um vorübergehende Netzstabilität und regionale Stromstabilität zu bekommen. Dies sei „jederzeit möglich“, behauptete Söder. Geprüft werden solle außerdem der Bau neuer Klein-Kernkraftwerke in Bayern.
Die von der Staatsregierung angehörten und nicht näher benannten Experten sind laut Söder davon überzeugt, dass die drei AKW dieses und kommendes Jahr noch reaktiviert werden können. Damit widersprechen sie allerdings Kraftwerksbetreibern, die eine Wiederinbetriebnahme ausgeschlossen hatten. Kritik kam am Dienstag von den Grünen. „Markus Söders Rückfall in die Atom-Träumerei ist nicht nur fernab wirtschaftlicher Realitäten, sondern auch verantwortungslos“, teilte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mit. Ihr Kollege Martin Stümpfig ergänzte: „Kernfusion ist ein wichtiger Beitrag zur Forschung, aber keine Lösung für die aktuellen Energieprobleme – weder kurzfristig noch mittelfristig.“ Während erneuerbare Energien kaum gefördert würden, stelle Söder „für seine Kernkraft-Visionen“ 100 Millionen Euro bereit.
Das Geld soll aus „Resten“ der Hightech-Agenda kommen
Woher stammt diese Summe? Die Haushaltslage ist angespannt. Bei der Streichung des Krippengeldes für Familien in Bayern war zuletzt darauf verwiesen worden. Auf Nachfrage erklärte Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU), die 100 Millionen Euro, als „erste Etappe“, sollen aus der 5,5 Milliarden Euro schweren Hightech-Agenda kommen, die Söder 2019 initiiert hatte. Man habe für den Vorstoß zur Kernfusion Reste daraus gesammelt. Der Bau des Demonstrationskraftwerks sei dann „eine andere Nummer, dafür brauchen wir den Bund“.
90 Prozent der über die Hightech-Agenda avisierten 1000 Professuren, unter anderem für künstliche Intelligenz, sind laut Blume bereits besetzt. Die Frage, was mit Ausgaben-Resten geschieht, brachte die Spitzen bayerischer Universitäten im vergangenen Jahr ziemlich in Wallung. Offenbar endete die Suche nach übrig gebliebenen Millionen nun aber friedlich, denn bisher hört man keine Klagen. Zumal wohl zahlreiche Unis von der neuen Kernfusionsoffensive profitieren: Die ersten drei Lehrstühle gehen laut Blume nach München, Augsburg und Erlangen-Nürnberg. Auf Nachfrage versicherte er aber, dass es eine „gute Abdeckung über ganz Bayern“ geben werde und nannte konkret Würzburg als weiteren potenziellen Standort.