Aus der Stimme der Richterin ist eine gewisse Gereiztheit herauszuhören. Es ist der dritte Verhandlungstag im vierten Prozess gegen Fußballspieler Jérôme Boateng, insgesamt sechs Termine sind angesetzt. Doch Richterin Susanne Hemmerich kündigt an, dass sie noch mehr Zeit braucht, am Ende setzt sie neue Termine an. Sogar ihren für Ende August geplanten Ruhestand habe sie verschoben: „Dieses Verfahren führe ich zu Ende.“
Eigentlich geht es in dem Prozess um einen mutmaßlichen Übergriff Boatengs auf seine Ex-Freundin. Bei einem Familienurlaub in der Karibik im Jahr 2018 soll er die Mutter seiner Zwillingstöchter geschlagen, getreten, gebissen und mit Gegenständen beworfen haben, alles nach einem Streit beim Kartenspiel. Von zwei Münchner Gerichten ist Boateng bereits wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt worden – wegen mehrerer Verfahrensfehler hatte das Bayerische Oberste Landesgericht das jüngste Urteil aufgehoben.
Dass der aktuelle Prozess nun noch länger dauert als geplant, hat vor allem mit anderen Verfahren rund um Boateng zu tun. Mit der Mutter seiner Töchter streitet der frühere FC-Bayern-Profi, der aktuell bei LASK Linz unter Vertrag steht, seit fast zehn Jahren um das Sorgerecht. Im Gericht fällt zudem immer wieder der Name einer anderen Ex-Partnerin Boatengs: Kasia Lenhardt.
„Seit Jahren medial vorverurteilt.“
Das Model hatte sich 2021, mit 25 Jahren, das Leben genommen, kurz nachdem Boateng in einem Interview in der Bild-Zeitung mit ihr abgerechnet hatte. Auch sie hatte Gewaltvorwürfe gegen ihn erhoben, diese dann aber wieder zurückgenommen. Seit Jahren läuft bei der Münchner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Boateng wegen körperlicher Übergriffe auf Lenhardt. Ein mehrteiliger Spiegel-Podcast erzählt auf Basis der Chatverläufe Lenhardts von diesen Vorwürfen.
Zum Prozessauftakt hatte Boateng sich erstmals öffentlich zu dem Suizid geäußert und dabei von „Lügen, Halbwahrheiten und falschen Verdächtigungen“ gesprochen, die „aus dem tragischen Tod von Kasia Lenhardt gestrickt wurden“. Ihre Angehörigen meldeten sich daraufhin zu Wort: Die Familie sei nicht einverstanden mit dem „Versuch Boatengs, Kasia Lenhardt auch nach ihrem Tod zur Blendung der Öffentlichkeit zu benutzen“.
Auch an diesem dritten Verhandlungstag fällt der Name Kasia Lenhardt auf der Boateng-Seite. Verteidiger Leonard Walischewski sitzt neben dem Fußballer und liest zwanzig Minuten lang einen Antrag vor: Sein Mandant werde „seit Jahren medial vorverurteilt“. Die Anwälte wollen Akten aus den familiengerichtlichen Verfahren in den Prozess einführen – und auch Sprachnachrichten zwischen Kasia Lenhardt und anderen Ex-Partnerinnen Boatengs. Richterin Hemmerich sieht sich nun gezwungen, weitere Zeugen zu vernehmen: „Mir bleibt nichts anderes übrig.“ Die Schuld für den ausufernden Prozess sieht sie auch bei der Staatsanwaltschaft: Schließlich hätten die Ermittlungen in Sachen Kasia Lenhardt längst abgeschlossen sein können, sagt sie.
Geladen sind an diesem Tag unter anderem die Richter aus den vorhergehenden Prozessen, sie sagen als Zeugen aus. Einer von ihnen sagt, er habe versucht, die familienrechtlichen Auseinandersetzungen damals herauszuhalten. In seinem Prozess 2021 hatte der damalige Verteidiger Boatengs davon gesprochen, man sei bemüht, keine „dreckige Wäsche“ zu waschen. Was folgte, war: jede Menge dreckige Wäsche. Nach dem dritten Tag im vierten Prozess sieht es so aus, als ginge es ähnlich weiter.