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Bulgarien steuert schon wieder auf Neuwahlen zu – Politik

by Marko Florentino
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Theoretisch hätte die konservative Außenministerin Mariya Gabriel in diesen Tagen als Ministerpräsidentin von Bulgarien vereidigt werden sollen; das war zumindest der Plan. Nach fünf Wahlen in zwei Jahren hatten sich im vergangenen Juni die beiden stärksten Parteien im bulgarischen Parlament zähneknirschend auf ein Rotationsprinzip geeinigt, um die politische Dauerkrise zu beenden: Neun Monate lang sollte Nikolaj Denkow vom europafreundlichen Reformbündnis «Wir setzen den Wandel fort» und «Demokratisches Bulgarien» (PP-DB) die Regierung führen. Dann sollte Gabriel, die vergangenes Jahr überraschend von ihrem Posten als EU-Kommissarin für Forschung, Kultur und Jugend nach Sofia zurückgeholt worden war, für die Gerb-Partei übernehmen.

Aber schon seit Monaten war in Sofia gemunkelt worden, dass der Plan wohl scheitern werde, weil Gerb schon wieder auf Neuwahlen spekuliere. Denkow trat daher Anfang März zögernd zurück, betonte aber, PP-DB halte seine Seite des Deals ein. Nun steht Bulgarien tatsächlich schon wieder vor vorgezogenen Neuwahlen, die, wenn Präsident Rumen Radew mitspielt, parallel zu den Europawahlen stattfinden sollen. Denn Mariya Gabriel gab ihr Mandat vor wenigen Tagen zurück – offiziell mit der Begründung, mit dem bisherigen Koalitionspartner sei keine Einigung über ein Kabinett möglich.

Die Regierungskrise könnte nun in eine Verfassungskrise münden

Die zwei Versionen für das Scheitern der geplanten Rotation, die sich bis zum Ende der Legislaturperiode noch einmal hatte wiederholen sollen, unterscheiden sich. Bei Gerb heißt es, DB-PP habe sich Konsultationen verweigert und die Zusammenstellung eines neuen, gemeinsamen Kabinetts boykottiert.

DB-PP gibt an, man sei davon ausgegangen, dass nur der Regierungschef ausgewechselt würde; Gerb habe aber nicht nur darauf bestanden, dass Gabriel zusätzlich zum Amt der Premierministerin Außenministerin bleibe, sondern habe auch, unabgesprochen, eine neue Kabinettsliste vorgelegt. Auf der habe unter anderem ein neuer Verteidigungsminister gestanden. Der starke Mann hinter Gabriel, der langjährige Regierungschef Bojko Borissow, habe außerdem nicht einmal das Telefon abgehoben, wenn Denkow anrief – und es offensichtlich auf Neuwahlen angelegt.

Die Regierungskrise könnte nun umgehend in eine Verfassungskrise münden – so sieht es zumindest der von den russlandfreundlichen Sozialdemokraten gestützte Staatspräsident. Nachdem Gerb das Mandat für die neue Regierung nach dem – verabredeten – Rücktritt von Denkow zurückgegeben hatte, hatte Radew erst DB-PP und dann der rechtspopulistischen Partei des Schlagerstars Slawi Trifonow den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt; beide konnten erwartungsgemäß keine Mehrheit im Parlament organisieren.

Nun muss der Präsident übergangsweise eine Expertenregierung ernennen

Nun muss der Präsident, wie schon mehrmals in den vergangenen Jahren, wenn aufgrund der gleichstarken, aber inkompatiblen politischen Blöcke keine Koalition zustande kam, übergangsweise eine Experten- oder Caretake-Regierung ernennen. Das hatte Radew bisher immer nach Gutdünken machen können. Aber die scheidende Regierung hatte vor einigen Monaten mit einer Verfassungsänderung seine Macht beschränkt und eine Liste von hochrangigen Ämtern vorgegeben, aus denen der Präsident den Chef einer solchen Expertenregierung auswählen kann.

Dazu gehören der Parlamentsvorsitzende, der Gouverneur der Nationalbank, die Ombudsfrau der Regierung und der Leiter des nationalen Auditbüros. Weil die Ombudsfrau der Regierung jedoch für einen Posten am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgesehen ist und ihre Stellvertreterin mitten in der aktuellen Krise eilig zurücktrat, beschwert sich Radew nun, dass seine Auswahlmöglichkeiten stark beschränkt seien.

Hinter dem vorgeschobenen Streit um den Austausch von Ministern und nicht angenommene Telefongesprächen stehen allerdings ganz andere Konfliktlinien. Die Rechtsstaatskoalition DB-PP etwa, die nach monatelangen Massenprotesten gegen eine korrupte Regierung und einen dysfunktionalen Staat erst vor drei Jahren entstanden war, warf Gerb und ihrem Parteichef Borissow vor, in Wahrheit Angst vor den Folgen der angestoßenen Reformpolitik der vergangenen Monate zu haben. «Waren vielleicht ein funktionierendes Justizsystem, funktionierende Kontrollbehörden und ein reformierter Geheimdienst das eigentliche Problem?», fragte Parteigründer Kiril Petkow, der eine erste Regierung unter DB-PP-Führung vor zwei Jahren angeführt hatte, auf der Plattform X. Borissow habe offenbar vor allem Angst davor gehabt, dass schwebende Korruptionsverfahren gegen ihn selbst nun konsequenter vorgenommen würden.

Bulgarien hatte sich im russischen Krieg eindeutig an die Seite Kiews gestellt – bislang

Aber wesentlicher noch ist die Frage nach der Ausrichtung einer künftigen Regierung – so denn nach der vorgezogenen Wahl im Juni eine zustande kommt. Bisher hatte sich Bulgarien im russischen Krieg gegen die Ukraine eindeutig an die Seite Kiews gestellt. Aber nicht nur die zuletzt erstarkte, rechtsextreme und ultranationalistische Partei «Wiedergeburt» (Wasraschdane) wie auch die russlandfreundlichen Sozialisten fordern eine Abkehr von dieser Politik, derweil russische Propagandamedien die Stimmung in dem traditionell russlandfreundlichen Land noch anheizen. Auch ein Hilfspaket inklusive Waffenlieferungen über 140 Millionen Euro für die Ukraine hängt nun im Parlament fest.

Auf dem Spiel stehen aber auch einige Schritte, die mehr EU-Integration bedeutet hätten. So wollte Bulgarien nach einer ersten Terminverschiebung wegen der politischen Dauerkrise endlich der Euro-Zone beitreten, und auch die volle Mitgliedschaft im Schengenraum hängt in der Luft.



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