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Es läuft jetzt ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Eiltempo muss der Bundestag vor der Wahl noch eine ganze Serie von Gesetzen beraten, die nicht mehr fertig geworden sind, bevor die Ampel zu Bruch ging. Am späten Donnerstagnachmittag zum Beispiel wurde im Parlament eine hitzige Kontroverse zum Schwangerschaftsabbruch erwartet. Aber auch Streitthemen wie das Lieferkettengesetz standen auf dem Programm. Manches rhetorische Feuerwerk war da angekündigt – und könnte schnell verglühen. Denn SPD und Grüne haben keine Mehrheit im Bundestag. Gerade Herzensanliegen dürften auf der Strecke bleiben. Union und FDP gedenken nicht, der Konkurrenz vor der Wahl noch Erfolge zu bescheren ohne Not.
Für viele Gesetzesvorhaben fehlt die Zeit, andere stoßen auf großen Widerstand – etwa die Abschaffung von Paragraf 218
Drei Sitzungswochen bleiben dem Bundestag noch, bis die Abgeordneten auseinandergehen. Am 23. Februar wird dann gewählt. Für viele Gesetzesvorhaben fehlt also schlicht Zeit, um das parlamentarische Verfahren noch zu durchlaufen. Andere schaffen es nicht mehr auf die Tagesordnung des Bundestags – oder stoßen auf so viel Widerstand, dass mit Zustimmung nicht zu rechnen ist.
Dazu gehört der Versuch von Grünen und SPD, kurz vor dem Ende der Wahlperiode noch eine Reform des Paragrafen 218 durchzusetzen. Er regelt den Schwangerschaftsabbruch und sorgte über Jahrzehnte für wütende Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik. Denn eine Abtreibung wird nicht bestraft, ist aber rechtswidrig. „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, steht im Strafgesetzbuch. Nicht wenige Frauen empfinden das als Stigmatisierung. In Deutschland sinkt aber auch die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, bei steigenden Abbruchzahlen.
Gerade in ländlichen Regionen wachsen in Konfliktlagen die Hürden, kritisieren Grüne und SPD. In 95 Landkreisen Deutschlands sei der Weg zu einer Abtreibungspraxis unzumutbar lang. Dass der Schwangerschaftsabbruch ein Straftatbestand sei, verhindere auch, dass er in den Weiterbildungskanon von Medizinern aufgenommen werde. Eine Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde, riet ebenfalls zur Reform. Es kam nicht dazu. FDP-Justizminister Marco Buschmann bremste.
Grüne und SPD haben nach dem Ampel-Aus deshalb in einem Überraschungscoup einen Gruppenantrag ins Parlament eingebracht. Abtreibungen sollen demnach statt im Strafgesetzbuch im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden, bis zur zwölften Woche „rechtmäßig und straffrei“ sein und von der Krankenkasse bezahlt werden. Bei der Pflicht, sich beraten zu lassen, soll es bleiben, wenn auch ohne dreitägige Wartezeit danach.
Ein Überraschungscoup, der wohl im Ausschuss versandet
Quer durch die Fraktionen soll das Vorhaben Zuspruch finden, vor allem bei Frauen. Das ist der Plan. Denn bei Abstimmungen über Gewissensfragen wird der Fraktionszwang in der Regel aufgehoben. 328 Abgeordnete haben den Antrag unterschrieben, ein „starkes Zeichen“, fand die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws. Würden Sozialdemokraten, Grüne, Linke und BSW geschlossen zustimmen, fehlten nur wenige Stimmen aus der FDP, hieß es noch am Dienstag in der SPD.
Denn die Union lehnt das Vorhaben ohnehin ab. Es gebe weder Stigmatisierung noch Kriminalisierung von Schwangeren in Konfliktlagen, heißt es hier. „Keine Frau, die sich zum Abbruch einer Schwangerschaft entschließt, kommt durch die Strafrechtsnorm des Paragrafen 218 auch nur in die Nähe einer Verurteilung, auch Ärztinnen und Ärzte nicht“, sagte Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), Vorsitzende des Rechtsausschusses. „Der Platz im Strafrecht macht aber deutlich, dass der von der Verfassung gebotene Schutz des ungeborenen Lebens ein hohes Gut ist.“
Bei den Liberalen im Bundestag war die Lage zunächst nicht so eindeutig. Auch bekannte Köpfe der FDP gaben zu erkennen, dass sie dem Gruppenantrag zum Paragrafen 218 zustimmen wollten. Nach einer Sitzung am Dienstag aber kam die Wende. Man habe in den eigenen Reihen zwar einige, die sich einen Abschied von der Strafrechtsnorm zur Abtreibung vorstellen könnten, hieß es nun. Beraten wolle die FDP das aber in Ruhe – nach der Wahl. Damit wird eine Mehrheit sehr unwahrscheinlich.
Für ein AfD-Verbotsverfahren fehlt die Mehrheit
Denn nach der ersten Beratung des Gruppenantrags am Donnerstag wird er in den Rechtsausschuss verwiesen – und dort versanden. Die FDP will einer zweiten und dritten Lesung nicht mehr zustimmen. Und im Ausschuss greift die Fraktionsdisziplin, hier dürfte es bei der Abstimmung keine Abweichler geben. Ohne Mehrheit im Ausschuss aber gibt es keine Abstimmung im Parlament.
Bei den Grünen herrschte nun Ernüchterung. Sie forderten, die Entscheidung im Bundestag nicht zu verhindern. „Ich rate FDP und Union wirklich sehr eindrücklich dazu, diese Gruppenvorlage nicht im Rechtsausschuss zu versenken“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Irene Mihalic. Er werde von breiter öffentlicher Zustimmung getragen.
Aber auch Gruppenanträge zur Widerspruchslösung bei der Organspende und zum Verbot der AfD werden es schwer haben, noch zur Abstimmung zu kommen. Beim AfD-Verbotsverfahren fehlt den Antragstellern aus Union, SPD, Grünen und der Linken ohnehin eine Mehrheit. Als wahrscheinlich gilt, dass der Antrag in den Innenausschuss überwiesen wird – um ihn dort zu beerdigen. Auch über den Abbau der kalten Progression wird diese Woche nicht abgestimmt. Die Union möchte keinem Vorhaben mehr zustimmen, das haushaltsrelevant ist, also den Bund zusätzliches Geld kostet. Aus der Kindergelderhöhung wird deshalb auch nichts.
Hätte, hätte, was passiert mit der Lieferkette?
Eine spannende Debatte wurde am Donnerstag beim Lieferkettengesetz erwartet. Es verpflichtet Unternehmen, auch Zulieferer im Ausland zu überprüfen, etwa, ob Produkte ohne Kinderarbeit und Ausbeutung hergestellt wurden. Union und FDP betrachten das Vorhaben als unnötige bürokratische Last für die Wirtschaft. Sie wollten an diesem Donnerstag jeweils eigene Anträge in den Bundestag einbringen, um das Gesetz abzuschaffen.
Auch der Bundeskanzler hatte im Oktober eine Streichung des Lieferkettengesetzes in Aussicht gestellt. Davon will die SPD-Fraktion jetzt aber nichts mehr hören. „Die Streichungspläne der Union und der FDP lehnen wir ab, Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, sagte Bernd Rützel (SPD), der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Auch die Grünen wollen an dem Gesetz festhalten.
Immerhin machen SPD und Grüne hier ein Angebot. Spätestens 2026 gelten ohnehin EU-weite Regeln zur Lieferkette, zusätzlich zum deutschen Lieferkettengesetz. Damit werden weitere Kontrollen und Berichte fällig. Der Plan ist nun, die Umsetzung der neuen EU-Regeln vorzuziehen – und zugleich das deutsche Lieferkettengesetz zu entschärfen, damit CDU und CSU zustimmen.
Zwei Vorhaben gelten als unstrittig
Bei zwei Vorhaben immerhin gibt es Einigkeit zwischen Union und Ampelparteien. Eines ist der Schutz des Bundesverfassungsgerichts. CDU und CSU bleiben bei ihrer Zusage, die Unabhängigkeit des obersten Gerichtes in der Verfassung zu verankern, um es vor Blockaden durch Demokratiefeinde zu schützen. Eine Zweidrittelmehrheit, auch im Bundesrat, gilt als gesichert.
Auch die Verlängerung des Deutschlandtickets soll noch kommen. Nachdem sich die Union zunächst geweigert hatte, noch vor Weihnachten zuzustimmen, sprach Friedrich Merz Mitte November ein Machtwort. „Wir wollen, dass so etwas wie ein Deutschlandticket erhalten bleibt“, sagte der CDU-Chef. Seine Fraktion werde der Änderung zustimmen, nachdem der Kanzler am 16. Dezember die Vertrauensfrage gestellt habe. Damit wäre das künftig 58 Euro teure Ticket für ein weiteres Jahr gesichert. Zusätzliche Bundesmittel sind dafür nicht nötig. Nicht abgerufene Gelder in Höhe von 300 Millionen Euro liegen dafür bereits bei den Ländern.