Der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wechselt für die Bundestagswahl im Februar seinen Wahlkreis. Er wird nicht in seiner Heimat im Landkreis Landshut antreten, sondern – ebenfalls in Niederbayern – im Wahlkreis Rottal-Inn. Das gab Aiwanger am Freitag bei einem Pressetermin bekannt. Hintergrund des Winkelzugs ist eine Direktmandate-Offensive, mit der die FW in den Bundestag kommen wollen und bei der sie auf bayerische Landräte zurückgreifen. Wie die Süddeutsche Zeitung unter Bezug auf FW-Parteikreise bereits am Mittwoch berichtet hatte, soll in Landshut statt Aiwanger der dortige Landrat Peter Dreier antreten; Aiwanger macht bei ihm daheim also Platz. Im Oberallgäu ist die Landrätin Indra Baier-Müller Kandidatin. Die lokalen Aufstellungen und Listenwahlen stehen noch aus.
Die FW, sagte Aiwanger, seien „eine Verantwortungskraft mit starken kommunalen Wurzeln – wir wissen was vor Ort los ist“. Von dort solle „die Rundumerneuerung Deutschlands beginnen“. Er sieht dazu seine FW im Bundestag und träumt von einer „bürgerlichen Regierung“ mit Union, Freien Wählern und einer nach der Ampel-Zeit „resozialisierbaren“ FDP – also ohne SPD und Grüne.
Anlass des Kommunalpolitiker-Tableaus ist die sogenannte Grundmandatsklausel. Eine Partei, die deutschlandweit drei Direktmandate erringt, kommt in Fraktionsstärke ins Parlament, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Aiwanger möchte diese drei Mandate am besten schon im Freistaat selbst erreichen. Die Fünf-Prozent-Hürde hat man intern mitunter abgeschrieben. Bei der Bundestagswahl 2021 kam die Aiwanger-Partei auf 2,4 Prozent bundesweit. Umfragen sahen zuletzt kaum besser aus. Auch die Europawahl im Frühjahr dieses Jahres hatte gezeigt, wie schwer sich die FW bei überregionalen Wahlen tun – nur 2,7 Prozent, selbst in Bayern waren es bescheidene 6,8 Prozent.
Im Fokus ist das Ziel „drei plus x an Direktmandaten“. Dafür sollen in Niederbayern Aiwanger und der seit 2014 amtierende Landshuter Landrat Dreier stehen. In dem Regierungsbezirk hatten die FW bei der Landtagswahl 2023 sehr stark zugelegt; wohl bedingt durch Solidarisierungseffekte in der Flugblatt-Affäre. In FW-Kreisen glaubt man, dass sich dort eine Stammwählerschaft auch für überregionale Wahlen entwickelt hat. Dreier sprach am Freitag von „großen Spaltungen“ in der Gesellschaft. Er stehe für „ehrliche und vertrauensvolle Arbeit“, diese „kennt man aus Berlin nicht mehr“.
Das Oberallgäu gilt als gutes Pflaster für die FW – auch wenn Indra Baier-Müller erst seit 2020 im Amt ist. Sie wolle „gerne ihren Radius ausweiten“, sagte sie, weil man in der Kommune die Konsequenzen von Bundespolitik tragen müsse. Zum Beispiel bei der Migration, die Konkurrenz von Zuwanderern und Bürgern um Wohnraum diene „nicht dem sozialen Frieden“. Außerdem bieten die FW in Schwaben den Bürgermeister von Gersthofen, Michael Wörle, als Direktkandidaten auf, für Augsburg-Land. Es geht ihm auch um Themen wie Ganztagsbetreuung, sagte er, wo „theoretische Diskussionen“ fehl am Platze seien. Dies sind insgesamt in Aiwangers Augen – inklusive seiner Person – schon vier Leute mit guten Aussichten auf ein Direktmandat. Aber auch „ein, zwei, drei auf Bundesebene“ seien denkbar.
Man könne aber „nicht alle ins Rennen schicken“
Das Reservoir an Landräten in Bayern wäre größer gewesen, gut ein Dutzend. Da hat Aiwanger anscheinend auch Absagen kassiert, er habe „mit vielen anderen gesprochen“, sagte er auf Nachfrage, man könne aber „nicht alle ins Rennen schicken“. Spekuliert wurde zuletzt auch über Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger, Landrätin in Regensburg. Einen Landratsposten mitsamt Machtfülle und Gestaltungsraum gibt man offenbar ungern auf. Es kann aber auch daran liegen, dass die überregionale Expansion der einst nur kommunal verankerten FW traditionell auch umstritten ist.
Generell seien „viele Wähler auf Heimatsuche“, sagte Aiwanger, was auch die Wagenknecht-Partei zeige. Die FW mit ihrem Angebot seien „eine Vision auch für Wähler, die derzeit überlegen, die AfD zu wählen“. Wenn in einer neuen Bundesregierung die „Ideologie dieselbe“ bleibe und „nur der Kanzlerkopf ein anderer sei“, würde das dagegen die Ränder stärken. Er wünsche sich von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder „als Partner“ gesehen zu werden, er sei „nicht deren Feind“.
Gerade für die Partei von Ministerpräsident Söder wären die FW aber ein Mitbewerber. Die CSU hatte 2021 alle Wahlkreise außer einen direkt gewonnen; der eine ging an die Grünen, in München-Süd. In der CSU, gerade in Niederbayern, ist die Konkurrenz bei der Erststimme durch die FW und übrigens auch durch eine zunehmend selbstbewusste AfD dem Vernehmen nach schon ein Thema. Nach außen aber ist die Linie klar. Wer bürgerlich wählen wolle, müsse bei der CSU sein Kreuz machen, sagt Söder häufig – alles andere seien „verschenkte“ Stimmen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte etwa in Medienberichten Aiwangers Plan „sinnlos“ und einen „vorgezogenen Faschingsscherz“.