Als Agnes Conrad in der Nacht auf Montag ins Bett ging, wusste sie nicht sicher, dass sie in den Bundestag einziehen würde. Am Morgen lief das Handy der 27-Jährigen dann über mit Glückwünschen. Die Kreisvorsitzende der Linken aus Schweinfurt machte sich auf den Weg nach Berlin. Conrad kandidierte auf Platz sieben der Landesliste der Linken in Bayern. Kein sicherer Platz – schon gar nicht, als die Liste Ende letzten Jahres aufgestellt wurde. Seither aber ging es für die Linke „wunderbar bergauf“, wie es Aaron Valent formuliert. Auch er ist ein unverhoffter Bundestagsneuling, Platz sechs der Landesliste. Auch ihn erreicht man am Montagvormittag im Zug nach Berlin.
8,8 Prozent der Wählerstimmen sammelten die Linken bei der Bundestagswahl deutschlandweit ein. Selbst im konservativen Bayern kam die Partei auf 5,7 Prozent. Und so haben nun ein paar Menschen, die damit kaum gerechnet hatten, einen neuen Job. „Darauf waren wir nicht vorbereitet“, sagt Landesgeschäftsführer Maximilian Steininger. Bei der Bundestagswahl 2021 hatten die Linken in Bayern nur 2,8 Prozent der Zweitstimmen geholt. Bei der Landtagswahl 2023 waren es sogar nur 1,5 Prozent. Für das letzte ansehnliche Ergebnis muss Steininger bis zur Bundestagswahl 2017 zurückdenken. Damals kam die Linke auf 6,1 Prozent. Im Vergleich zu 2017 habe man wegen der hohen Wahlbeteiligung diesmal aber weitere 5000 Stimmen dazu gewonnen, sagt Steininger: „Das ist schon gigantisch.“

Bundesweit konnte die Linke vor allem bei den jungen Wählern punkten. Bei den unter Dreißigjährigen wurde sie gar stärkste Kraft, fast jede vierte Person in dieser Gruppe hat der Partei ihre Stimme gegeben. Auch Valent, der für die Linke in Würzburg antrat, selbst erst 27 ist und eine Ausbildung zum Rechtsanwalts-Fachangestellten macht, hatte das Gefühl, dass der Wahlkampf in seiner Altersgruppe verfing. Hilfreich sei der Fokus auf zwei Kernthemen gewesen – die Mietpreisbremse und das Thema Frieden. Und: „Wir waren viel mehr an den Haustüren, viel mehr vor Ort.“ Speziell in Bayern haben die Linken zudem im Wahlkampf in vielen Orten eine Sozialsprechstunde angeboten. Im Stimmkreis von Valent in Würzburg etwa konnten die Bürger einmal pro Woche mit ihren Anliegen vorbeikommen, egal ob es um Bafög, Pflegegeld oder die Nebenkosten ging.
Mit den Leuten sprechen statt über sie, das war auch das Motto von Titus Schüller, der im Stimmkreis Nürnberg-Nord für die Linken angetreten ist. Schüller selbst kandidierte als Direktkandidat, hatte aber keinen Platz auf der Landesliste und zieht deshalb nicht in den Bundestag ein. Die Linke erzielte in seinem Stimmkreis mit 12,9 Prozent ihr bayernweit bestes Ergebnis. Im Wahlkampf war Schüller mit einem Plakat unterwegs, auf dem „helfen statt reden“ zu lesen war. Er bietet eine Wohngeldberatung an, in der er Menschen mit kleinem Einkommen erklärt, wie sie sich einen Mietzuschuss holen können. Viele Menschen hätten das Gefühl, die Politik sei abgehoben, sagt er. „Mir war wichtig, da etwas dagegenzusetzen.“

Den Erfolg der Partei sehen die Linken-Politiker aber auch im Rechtsruck begründet. Noch nie zuvor seien so viele Menschen auf ihn zugekommen, die sich positionieren wollten gegen rechte Hetze, aber auch für soziale Themen, sagt Schüller. Allein in Nürnberg habe man die Mitgliederzahl von 300 auf 700 gesteigert. Bayernweit zählt die Linke inzwischen 7000 Mitglieder. Als sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gründete, war man bei 2500.
Sie nehme diesen Auftrag sehr ernst, sagt Agnes Conrad. Sie stellt sich auf einen harten politischen Kampf in Berlin ein. „Wenn man sich anschaut, was da auf uns zukommt: der Rechtsruck, die Sozialkürzungen – wir werden eine starke Opposition sein müssen“, sagt sie und verspricht: „Ich werde alles, was ich an Zeit, Ressourcen und Energie habe, da reinstecken.“ In Berlin wird sie zunächst bei Freunden der Familie unterkommen. Conrad ist in Berlin geboren, aber schon als Kind nach Schweinfurt gezogen, wo sie derzeit als Betriebsratsreferentin bei einem großen Industrieunternehmen arbeitet. Sie will auch weiterhin nach Schweinfurt pendeln. Die Stadt, in der derzeit Tausende Industriearbeitsplätze bedroht sind, liege ihr „seit langer Zeit am Herzen“.
Neben Conrad und Valent sind Sahra Vollath, Luke Hoß und Evelyn Schötz neu im Bundestag. Ates Gürpinar und Nicole Gohlke wurden wiedergewählt.