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Das Kunstfest Weimar im Schatten der Wahl in Thüringen – Kultur

by Marko Florentino
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Am Theaterplatz trifft man auf ein freundliches Volksfest, angezettelt vom Kunstfest Weimar, immer hält irgendjemand eine kurze Rede, immer geht es um Vielfalt, um Zusammenleben, um Gemeinschaft. Weimar ist hier lustig, bunt und entspannt, Goethe und Schiller stehen da, jemand macht gewitzten Unsinn mit ihren Statuen. Dass Björn Höcke, Vorsitzender der Thüringer AfD, sich Kultur als „kriegerische Behauptung des Eigenen“ vorstellt, dieser Gedanke ist hier sehr weit weg.

Aktuelle Wahlprognose: 30 Prozent AfD, 22 Prozent CDU, 17 für BSW, 14 für die Linke, sieben für die SPD. Die Grünen liegen bei vier Prozent, die anderen sind wurscht.

Sandra Hüller, gebürtige Thüringerin, sollte der Star des Festivals sein, hat aber abgesagt

Das Kunstfest Weimar ist über die Stadt verstreut, weitet sich ins Land aus, ins 30-Prozent-AfD-Land. Man macht sich auf zur KET-Halle, einem riesigen Backsteinkomplex des ehemaligen volkseigenen Betriebs „Kartoffel Ernte Technik“, unterquert die Bahntrasse, gelangt in eine Niemandslandbrache. Und da ist es. Das erste AfD-Plakat, sehr groß. Das Plakat: Ein mittelalter POC steht grinsend mit gestutztem Bart und lustigem Hut am Grill, das Fleisch schaut lecker aus. Dazu die Worte: „Trau dich! Dein Nachbar wählt uns auch!“. Nebensatz: „Der Osten macht’s!“. Mehr Inhalt glaubt die AfD, hier nicht zu brauchen, als Verheißung eines neuen Gemeinschaftssurrogats.

Es verspricht ein Happening zu werden, was es in Momenten auch wird: die multimediale Konzertinstallation „The Weird & The Eerie“ (Foto: Candy Welz)

In der ehemaligen Kartoffelhalle trifft man dann auf die multimediale Konzertinstallation „The Weird & The Eerie“ von Michael von zur Mühlen mit Thomas Köck als, nun ja, Autor, Andreas Spechtl von der Band Ja, Panik und den beiden Musikerinnen Katharina Ernst (viele Trommeln) und Annea Lounatvuori (Cello, Elektrocello, Saxofon). Der alte Industrieraum ist sensationell, die Ausstattung verweist aufs Sterben (vier Särge), auf Erinnerung (ein Vitrinenschrank mit Pokalen) und mit riesigen bedruckten Stoffbahnen auf die Neunziger. In der Mitte die vier Musikanten (Köck bedient die Elektronik). Es verspricht ein Happening zu werden, was es in Momenten auch wird.

Die Idee: Eine KI wurde von Köck beauftragt, die Vergangenheit der vier Protagonisten zu erforschen; daraus wurden Avatare kreiert, die in einem etwas trostlosen Computerspielsetting auf einer großen Leinwand herumlaufen. Man kann mit ihnen reden. Über die Neunziger. Bei Köcks Avatar allerdings weiß man zunächst nicht, ob der nicht ein hölzernes Klohaus ist, wie es in den Bergen auf den Almen herumsteht, mit Loch in Herzform an der Tür. Köck jedenfalls redet mit dem Häusl; die monströs hallende Akustik macht ein Verstehen unmöglich, da hilft auch der an sich elaborierte, hybride Surroundsound nichts.

Michael von zur Mühlen hat viel Erfahrung mit High-End-Multimedia-Technik auf der Bühne, erhielt dafür auch schon den „Faust“-Theaterpreis. Hier scheitert er an den Gegebenheiten. Köcks Avatar kommt schließlich raus aus dem Häusl, verstehen kann man ihn immer noch nicht. Beim nächsten, dem von Spechtl, begreift man wenigstens Fetzen von Erinnerung – im Keller des Elternhauses trifft der Avatar auf die Moderatorin Arabella Kiesbauer, Quentin Tarantino, Jörg Haider, dazu ein bissel Nazi (wir sind jetzt in Österreich), aber viel verstehen kann man immer noch nicht. So geht es weiter mit den anderen, immer wieder unterbrochen von semiinteressanten, keineswegs zimperlichen Soundgebilden, die am Schluss in enervierender Variationslosigkeit das Geschehen vollends übernehmen. Aber: Will man versichert sein, dass künstliche Intelligenz in performativen Zusammenhängen bislang wenig bringt, dann liefert der Abend Trost.

Weimar, ein Tag vor der Landtagswahl. Für den Abend ist die „Wahlerinnerungsgala“ „Come As You Are“ im Nationaltheater angekündigt. Mit dabei sollte sein Sandra Hüller, Fast-Oscarpreisträgerin aus Thüringen. Aber sie sagte leider ab, aus persönlichen Gründen. Vielleicht waren ihr ihre Auftritte bei der Ruhrtriennale zu viel geworden, wie auch immer, Festivalleiter Rolf C. Hemke ist jedenfalls not amused – Hüller ist ein Gesicht des Kunstfests, sie prangt von vielen Plakaten. Die Gala ist der Nukleus des diesjährigen Festivalgedankens „Wofür wir kämpfen“, man will Vielfalt feiern und Haltung zeigen. Nun eben ohne eine Weltschauspielerin aus Suhl in Thüringen.

Wie sehr die Gala schon im Vorfeld ein Aufreger ist, zeigt ein Mailverkehr, den Hemke weiterleitet. Anselm Lenz, Mitherausgeber der rechten Querdenkerzeitung Demokratischer Widerstand, akkreditierte sich in dieser Funktion als Berichterstatter. Dann fiel ein Newsletter des Demokratischen Widerstands auf, in dem Hemke Störaktionen angekündigt sah, woraufhin er die Pressekarten stornieren ließ und Lenz bat, von einem Besuch der Veranstaltung abzusehen. Antwort Lenz: „Ich habe vorgebaut und nehme morgen auf einem anderen Ticket als Teil einer Gruppe u.a. mit Anwältinnen und Bodybuildern als journalistischer Berichterstatter an dem Abend teil. Es ist unser Nationaltheater, und ich lasse mich davon nicht ausschließen, schon gar nicht als angemeldeter Berichterstatter.“ Das Ganze unterschrieben mit „kollegialem Gruß“. Hemke informierte die Polizei.

Auf einem Plakat Höcke mit blauer Sonnenbrille und der Satz „Fast schon verboten gut“

Es wäre das zweite Mal, so Hemke, dass gegen das Kunstfest von rechter Seite vorgegangen würde. 2019 gab es eine Demo von rechts mit etwa 50 Demonstranten, die etwas gegen einen Demokratieabend des Kunstfests einzuwenden hatten.

Bevor man sich für den Abend wappnet, besucht man noch eine Tanzperformance von HO Hsiao-Mei, die zur einen Hälfte aus einer VR-Brille und zur anderen aus der betörenden Ho Ting-i besteht, bei aller Faszination aber völlig rätselhaft bleibt („Sister Lin-Tou“), und die Gruppe Novoflot. Dafür muss man abermals in eine Vorstadt, zur Außenspielstätte Redoute, und man ahnt schon, was einem auf dem Weg dorthin begegnet. Ein AfD-Plakat, diesmal Höcke selbst mit himmelblauer Sonnenbrille, dazu der Spruch „Fast schon verboten gut“. PR können die Rechten.

Novoflot zeigt eine Überschreibung von Arnold Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“, ein etwa siebenminütiges Melodram für Sprecher und Chor von 1947, das mit bohrender Wucht von der Gewalt erzählt, mit der die Nazis den Aufstand im Warschauer Ghetto niederschlugen. Warum da noch etwas überschreiben? Offenbar weil der Autor Max Czollek dem deutschen Umgang mit Gedenken und Erinnern misstraut und deshalb einen Text aus seinem Buch „Desintegiert euch“ vorträgt. Es scheint, als traue er Schönbergs ikonischem Stück ein Aufrütteln nicht mehr zu. Allerdings gereicht nun der eineinhalbstündige Abend „Ein Ermordeter aus Warschau“ zu gar nichts. Drei Sängerinnen, eine Jazzrockcombo und ein Avantgarde-Ensemble spielen Probe, zitieren Werke Schönbergs, machen irgendwann tolle, autonome Musik (Michael Wertmüller), nähern sich aber dem Gegenstand des Erinnerns auf meist selbstironische, also vollkommen unverbindliche, mitunter ärgerlich läppische Weise.

Und nun, die Wahlerinnerungsgala: Vor dem Nationaltheater, wo 1919 die Nationalversammlung tagte, um die Reichsverfassung zu verabschieden, eine lange Schlange, die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch. Und nicht nötig. Drinnen: ein buntes Unterhaltungsprogramm, zusammengestellt und moderiert von Schorsch Kamerun, Theaterunikum mit Punk-Hintergrund (Die goldenen Zitronen). Nach der Absage von Hüller wurde alles schnell zusammengebastelt, es gibt viel Musik, unter anderem K-Pop-Punk von Horizontaler Gentransfer, einen Komiker mit Stofftieren (René Marik), Videobotschaften von Eva Mattes und auch Stewart Copeland von der Band The Police, Textbeiträge mit Improcharme und kaum einmal einen Ausflug ins dezidiert Politische. Eher hat man den Eindruck, mal wolle noch einmal zwei Stunden fröhlich und frei sein, bevor die Wahlergebnisse kommen. Und das alles ohne deutlich erkennbarer ostdeutscher Beteiligung. Kamerun selbst, der praktische Geist hinter dem Abend, stammt von Timmendorfer Strand. Andererseits ist auch der nie erwähnte Elefant im Raum, Björn Höcke, kein Ossi, sondern aus Lünen in NRW.



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