Als die weltweiten Börsen zum Ende dieser Woche ins Negative kippten, schien es, als hätte jemand gleich dreifach einen Schalter umgelegt. Große Hoffnungen auf Künstliche Intelligenz? Am Parkett plötzlich kaum noch etwas wert. Niedrigere Zinsen wegen einer abkühlenden Wirtschaft? Nun eher Anlass zur Sorge als zur Freude. Dass der US-Leitindex S&P 500 bereits an mehr als 350 Handelstagen nicht um mehr als zwei Prozent nachgegeben hatte? Im Rückspiegel scheint es allenfalls die Ruhe vor dem nun anbrechenden Rücksetzer gewesen zu sein.
Zum Ende der Woche drehten die Börsen weltweit schließlich tief ins Negative: Der deutsche Leitindex verlor allein am Donnerstag mehr als zwei Prozent, am Freitag krachte er um weitere 2,3 Prozent auf 17 661 Punkte ein. Damit erlitt er den größten Tagesverlust seit März 2023 und erreichte den tiefsten Stand seit April. Den breit gefassten japanischen Börsenindex Topix riss es am Freitag um mehr als sechs Prozent in die Tiefe. „Von einem Crash zu sprechen, wäre sicherlich zu früh, aber die Nerven bei vielen Investoren liegen blank“, sagt Marktexperte Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets.
Gleich mehrere zentrale Pfeiler der bislang steigenden Kurse scheinen seit Mitte dieser Woche deutlich zu wanken: Bislang hatten sich die Anlegerinnen und Anleger mit abbröckelnden Konjunkturdaten dies- und jenseits des Atlantiks stets recht wohlgefühlt, weil die Notenbanken genau darin Argumente für sinkende Zinsen gefunden hatten. Sinken dann die Erträge bei Zinsanlagen, so die Überlegung der Börsenprofis, könnten Aktienanlagen interessanter scheinen.
Als US-Notenbankchef Jerome Powell am Mittwochabend jedoch durchblicken ließ, dass er sich langsam um die Arbeitslosenzahlen im Land sorge, schienen die Anleger binnen Minuten ihre Perspektive zu ändern. „Es ist klar, dass der Arbeitsmarkt jetzt zunehmend zum Faktor für die US-Notenbank Fed wird“, meint Anlagestratege Jim Reid von der Deutschen Bank. In der Folge schossen sich die Anleger auf eine ganze Reihe an negativen Konjunkturdaten ein, die allein in dieser Woche auf die Börse niederprasselten: Eine Schätzung der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA übertraf am Mittwoch die Schätzungen der Analysehäuser an der Wall Street. Ein Stimmungsbarometer der US-Industrie fiel so schlecht aus wie seit dem vergangenen November nicht mehr. Dass die deutsche Wirtschaft zwischen April und Juni entgegen aller Erwartungen weiter leicht geschrumpft ist, machte die Laune der Börsenprofis nicht eben besser. „Das Rezessionsgespenst hat es zurück aufs Parkett geschafft“, sagt Anlagestratege Jochen Stanzl vom Brokerhaus CMC Markets.
Wegen der Konjunktur-Sorgen wich plötzlich ein gehöriges Stück Hoffnung aus den Kursen: Dass der Onlineriese Amazon weniger Geschäft machte als gedacht, straften die Anleger im Frankfurter Handel mit einem Kursminus von mehr als neun Prozent ab. Dass Apples Umsätze mit dem wichtigen iPhone hinterherhinken, drückte auch dieses Börsenschwergewicht ins Negative. Wohl am pikantesten waren jedoch die Nachrichten vom Chipriesen Intel, der trotz des globalen Halbleiterbooms Tausende Stellen abbauen und seine Dividende streichen will. Die Strafe der Anlegerinnen und Anleger? 20 Prozent Kursverlust binnen weniger Minuten, wohlgemerkt die schärfste Kurskorrektur der Aktie seit dem Dotcom-Crashjahr 2000. „Wenn hohe Erwartungen auf nervöse Anleger treffen, reicht schon das berühmte Haar in der Suppe, um Verkaufsdruck aufkommen zu lassen“, sagt Kapitalmarktstratege Molnar.
In den kommenden Börsenwochen werden die Anlegerinnen und Anleger also genauer hinsehen, ob sich die großen Hoffnungen mit Blick auf die Künstliche Intelligenz tatsächlich in steigende Unternehmensgewinne übersetzen. Gleichzeitig steht für den hiesigen Aktienmarkt bereits der nächste Prüfstein bevor: Am Montag erfahren die Anleger, wie die Einkaufsmanager in den hiesigen Unternehmen gestimmt sind. Die Einkäufer von Rohstoffen oder Vorprodukten wissen schließlich besonders genau über die aktuelle und kommende Auftragslage ihrer Unternehmen Bescheid.
Privatanleger sollten den Schwankungen der Börsenkurse jedoch mit gesunder Distanz zuschauen, sind Anlageexperten überzeugt. „Für einen langfristig orientierten Investor ist das kein Risiko, sondern er erhält die Chance, seine Investments antizyklisch aufzustocken“, sagt Georg Geiger von der Anlagegesellschaft Value Holdings. Wer einen langen Atem über Jahre und Jahrzehnte hat, kann es sich schließlich erlauben, in den fallenden Kursen eine günstige Gelegenheit zu sehen. In dieser wechselhaften Handelswoche wäre das schon der vierte Perspektivwechsel für die Börsen.