Am Ende war es wieder mal das klassische Western-Finale: Ein Schuss – und einer der Kontrahenten bleibt im Staub der Geschichte liegen, während der andere sich des Lebens freut und tatendurstig neuen Zielen zuwendet. Einem ersten Interview zum Beispiel. «Der Job ist noch nicht erledigt», sagte Ty Ronning, Stürmer der Eisbären Berlin, nach seinem Treffer zum 3:2 nach exakt 67 Minuten gegen die Straubing Tigers, bei Magentasport: «Wir haben noch Arbeit vor uns.» Mit 4:1 Siegen setzten sich die Berliner in der Playoff-Halbfinalserie gegen die Niederbayern durch und qualifizierten sich für die Endspiele der Deutschen Eishockey Liga (Auftakt 17. April) gegen die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven, den Sieger der Hauptrunde. Zum Titel sind weitere vier Siege nötig. Und weil er gerade von Glückshormonen geflutet war, prophezeite Ronning gleich: «Das wird ein großartiges Finale!»
Die gute Laune des Amerikaners war verständlich. Wie schon in Spiel zwei, mit 110:40 Minuten das drittlängste in der Geschichte der DEL, war wieder Ronning der Mann gewesen, auf den sich die Eisbären in der Verlängerung verlassen konnten. Anders als in Spiel zwei zog Ronning seinen Colt diesmal nur früher, stibitzte im Berliner Drittel dem Straubinger Stephan Daschner die Scheibe vom Schläger, ließ den zurückgeeilten Stürmer Josh Samanski ins Leere rutschen und dem exzellenten Hunter Miska im Tigers-Tor keine Abwehrchance. «War das ein Kampf!», sagte der Match- und Serienwinner anschließend: «Straubing gibt einfach nicht auf.»
4:1 Siege klingt in der Tat eindeutiger, als die Serie verlaufen war. Vier der fünf Partien endeten mit nur einem Tor Unterschied, lediglich die erste Begegnung in Berlin gewannen die Eisbären 3:1. «Jedes einzelne Spiel war eng», sagte Straubings Trainer Tom Pokel. «Wir hatten in Spiel eins, zwei und drei die besseren Chancen, um zu gewinnen.» Aber wenn man gegen «ein Topteam» wie Berlin «diese Topchancen auslässt», dann wird die Aufgabe immer schwieriger. Zumal die Tigers, je länger die Serie dauerte, bei allem Kampfgeist nicht mehr kaschieren konnten, dass ihnen die Körner knapp werden. «Unsere Serie im Viertelfinale war länger. Dann das drittlängste Spiel in der Geschichte der DEL. Wir sind bei 14 Spielen in 26 Tagen. Das hat Substanz gekostet», sagte Pokel. «Wir hatten Opferbereitschaft, wir sind ein Energieteam. Wir haben durch die Arbeit unseren Erfolg gehabt.» Aber irgendwann werden selbst die fleißigen Tiger müde, wenn diese Arbeit mit zu wenigen Toren belohnt wird.
Er erwarte in Bremerhaven «eine extrem gute Mannschaft», sagt Berlins Frederik Tiffels
Am Mittwoch waren es wieder nur zwei. Marcel Noebels’ Powerplaytreffer (24.) egalisierte Philip Samuelsson (31.) mit einem Distanzschuss der Sorte «Wenn du nicht weißt, wohin mit der Scheibe…», das 2:1 (41.), einer wunderschönen Kombination über Mike Connolly und Parker Tuomie entsprungen und von Justin Scott vollendet, machte Straubing Mut. Aber die Führung hielt nur 40 Sekunden. Dann streckte Tobias Eder seine Schlägerkelle in einen Schlagschuss von Marco Nowak und fälschte den Puck unberechenbar für Miska zum 2:2 ab. «Gratulation an Berlin. Sie haben den Weg gefunden und den entsprechenden Spielwitz, um die Tore zu schießen», sagte Pokel. Auch wenn die Eisbären zumindest in den ersten Duellen selbst nicht immer so genau wussten, wie sie auf diesen Weg gelangt waren. Aber manchmal reicht es ja schon, Ty Ronning einen Schläger in die Hand zu drücken und zu sagen: Lauf! Und schieß!
Nach dem Durchsacken in der vergangenen Saison, als die Eisbären die Playoffs verpassten und zeitweilig sogar in Abstiegsgefahr zu geraten drohten, steht der DEL-Rekordmeister nun wieder im Finale. 2021 und 2022 holte das Team von Serge Aubin den Titel. Entsprechend stolz war der 49-jährige Kanadier am Mittwochabend: «Die Jungs waren das ganze Jahr fantastisch. Sie haben stark gespielt und wissen, wie man gewinnt.» Nationalspieler Frederik Tiffels, vor der Saison vom entthronten Titelverteidiger München nach Berlin gewechselt, sagte im Hinblick auf das Finale gegen München-Bezwinger Bremerhaven, er erwarte «eine extrem gute Mannschaft» als Gegner. «Das wird eine Partie auf Augenhöhe. Es wird derjenige gewinnen, der weniger Fehler macht.»
Ob er Trainer in Straubing bleibt, lässt Tom Pokel offen
Auf der anderen Seite haderten die Straubing Tigers mit der verpassten Chance auf ihre erste Finalteilnahme. Kapitän Sandro Schönberger, 37, der nach 15 Jahren und 704 Spielen für die Niederbayern seine DEL-Karriere beendet, sagte mit Tränen in den Augen: «Da drin sind alle am Flennen.» In der kommenden Saison, mit Champions League und einer Einladung zum Spengler Cup, dem ältesten und bedeutendsten Klubturnier der Welt in Davos, warte aber «ein Mordsprogramm» auf die Tigers. Straubing, schlussfolgerte Schönberger, «kann stolz sein» auf sein Eishockeyteam.
So sah das auch Tom Pokel. «Wir lernen, die nächsten Stufen zu erreichen. Die Saison war ein hervorragender Lehrgang für die Zukunft», sagte der 56-Jährige. Ob er selbst nach sieben Spielzeiten in Straubing noch Teil dieser Zukunft sein wird, ließ der Amerikaner aber offen. Er werde in den kommenden Tagen «in aller Ruhe» mit dem Sportlichen Leiter Jason Dunham reden. Straubing, sagte Pokel, «liegt mir sehr am Herzen». Dann umarmte er Schönberger, ging in die Kabine – und womöglich ließ auch er dort sein Herz erst einmal überlaufen.