Bis auf Sjoeke Nüsken, Rebecca Knaak und Ann-Katrin Berger hätten es wirklich alle wissen müssen. Und selbst für diese drei Spielerinnen des deutschen Nationalteams, die ihren Alltag nicht (mehr) in der Bundesliga verbringen, gilt ein Entschuldigungsschreiben nur bedingt. Weil in der Vorbereitung auf ihren ersten Gegner dieses Fußballjahres der Name Lineth Beerensteyn oft in den Sätzen des Trainerteams vorgekommen sein dürfte. Die Stürmerin ist ohnehin bestens bekannt für ihr Tempo und ihre Torgefahr. In der Bundesliga hat sie für den VfL Wolfsburg in dieser Saison bisher zwölfmal getroffen, damit ist sie derzeit mit Frankfurts Laura Freigang die beste Torjägerin. Noch dazu trug Beerensteyn am Freitagabend das nicht zu übersehende, knallorangefarbene Heimtrikot der Niederlande – und doch konnte sie entkommen.
Beim ersten Mal begann der Spielzug mit einem langen Ball, geschickt platziert in den Lauf der lauernden Beerensteyn. Sie rannte los, Knaak kam nicht hinterher, und Beerensteyn guckte trotz Sprintgeschwindigkeit ganz ruhig DFB-Torhüterin Berger aus, bevor sie den Ball frech durch deren Beine schoss. Ein Pass reichte, um die deutsche Defensive auszuspielen. Damit war der Ton nach 13 Minuten gesetzt. Beim zweiten Mal ging es wieder zu einfach. Ungestört kamen die Niederländerinnen in der 66. Minute zum Flanken, Beerensteyn konnte im Strafraum hinter Giulia Gwinn ebenso ungestört dem Ball entgegenspringen und diesen gegen die Laufrichtung von Berger mit dem Kopf zum 2:2-Endstand ins lange Eck lenken. Das dürfe so „nicht passieren“, kritisierte Bundestrainer Christian Wück später in der ARD: „Da sind die Mädels viel zu lasch an der Frau.“
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DFB-Kapitänin Giulia Gwinn
:Die Schweinsteigerin
Erst zwei Kreuzbandrisse, dann Kapitänin: Giulia Gwinn folgt bei den DFB-Frauen auf Alexandra Popp. Ihre Art zu führen wird sich unterscheiden, in einem Punkt aber orientiert sich die 25-Jährige an ihrer Vorgängerin – und an einer Ikone des FC Bayern.
Nun hat Beerensteyn mit ihren Toren in dieser Nations-League-Partie die Deutschen nicht gleich zum Start des neuen Länderspieljahres in eine kleine Krise geschickt. Denn auch das DFB-Team brachte den Ball beim 2:2 (1:1) im Rat-Verlegh-Stadion von Breda zweimal ins Tor, sehenswert noch dazu. Aber eine Annahme wurde doch bestätigt: dass das Defensivverhalten und auch die Abwehr als solche in den Fokus rücken würden, die Viererkette war zuletzt ohnehin oft eine Problemstelle. Dem Nationalteam geht es da ein bisschen so wie der Bundesrepublik: Im Generationenwechsel herrscht bisweilen Fachkräftemangel, und der kann in dem Fall auch nicht durch Migration aufgefangen werden, höchstens von Expats.
Das Casting um die Kaderplätze für die EM in der Schweiz geht in die entscheidende Phase
Die Lage wurde gleich im ersten Auftritt unter Wück, bei dem es nach vier Spielen ohne Leistungsdruck (zwei Siege, zwei Niederlagen) wieder auf das Ergebnis ankam, unerwartet angespannter als erwartet. Die bisherige Abwehrchefin Marina Hegering kann nicht mehr für Stabilität sorgen, Kapitänin Alexandra Popp fehlt als Universal-Notfallhelferin, beide sind zurückgetreten, doch daran haben sich die Deutschen inzwischen gewöhnen können. Nun fielen in der Innenverteidigung auch noch kurzfristig die Routiniers Sara Doorsoun (33, Eintracht Frankfurt) und Kathrin Hendrich (32, VfL Wolfsburg) aus. Aber wenn Wück schon lieber von Herausforderungen statt Baustellen spricht, ließ sich auch in dieser Situation das Positive sehen.
Auf der rechten Seite konnten in ihrem ersten offiziellen Einsatz die neue Kapitänin Gwinn (außen) und ihre Stellvertreterin Janina Minge ihr Zusammenspiel testen. Links erhielt Sarai Linder Gelegenheit, für sich zu werben. Das Casting um die Kaderplätze für die Europameisterschaft in der Schweiz (2. bis 27. Juli) geht schließlich in die entscheidende Phase. Und auf der zweiten Innenverteidiger-Position kehrte neun Jahre nach ihrer letzten DFB-Nominierung Rebecca Knaak zurück. Die Verteidigerin von Manchester City (Expat!) hatte Wück mit ihrem linken Fuß, ihrer Zweikampfstärke und ihrem Kopfballspiel überzeugt. Der 28-Jährigen war anzumerken, dass sie sich erst wieder in dieser Umgebung einfinden muss. Bundestrainer Wück sah daher mildernde Umstände beim 0:1 – „gegen eine Beerensteyn ist es einfach schwer“ – und bemängelte vielmehr die Entstehung der Tor-Szene: „Wir sind nicht in der Lage, mit drei, vier Spielerinnen diesen Pass zu verhindern.“
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Der 51-Jährige dürfte sich so manches notiert haben, was ihm missfiel und was er möglichst schon für das zweite Nations-League-Spiel am Dienstag (18.15 Uhr, ZDF) in Nürnberg gegen Österreich ändern will. Von Passivität über fehlende Zuordnung bis zu mangelnder Stabilität. Dass es Ideen und eine möglichst niedrige Fehlerquote brauchen würde gegen spiel- und offensivstarke Niederländerinnen mit diversen herausragenden Fußballerinnen, war vorher klar. Wück hatte vorhergesagt, dass Oranje von der ersten Minute an mit hohem, aggressiven Pressing Druck machen würde. So lief es dann auch. „Der Lerneffekt ist da, wir hätten ihn aber gerne vermieden“, sagte Wück.
Die DFB-Frauen kamen in den ersten Minuten kaum hinterher und dann nicht wirklich durch, nachdem die Gegnerinnen sich etwas zurückzogen. Das regte den Bundestrainer am Seitenrand sichtlich auf und führte auch zu einer intensiven Mannschaftsdiskussion während einer Behandlungspause. Im Spielaufbau waren Gwinn und ihre Mitspielerinnen insgesamt nicht kreativ genug. Bitter für die Deutschen war zudem: Als sie das änderten und im Begriff waren, die Partie für sich zu entscheiden, taten sie es nicht. „Wir müssen einfach lernen, unser Momentum zu nutzen“, sagte die Kapitänin.
Als kleine Grußbotschaft an Alexandra Popp wuchtete Lea Schüller – die nun mit Popps Rückennummer 11 aufläuft – beim 1:1 (45.+1) den Ball nach einer Flanke von Klara Bühl wuchtig ins Tor. Kurz nach einer tollen Kombination von Jule Brand und Sjoeke Nüsken (50.) zur zwischenzeitlichen 2:1-Führung verpasste Schüller, wieder nach einer Flanke von Bühl, jedoch knapp das dritte Tor. Das Zusammenwirken der beiden Spielerinnen des FC Bayern stand für Wück symbolisch für etwas, das ihm gefiel. „Wir haben die Schützinnen und die Kopfballspielerinnen. Das muss ein Markenzeichen dieser Mannschaft werden, das müssen wir trainieren“, sagte er. „Das ist eine Waffe für uns.“
Moment mal, entschlossene (Kopfball-)Abschlüsse von deutschen Nationalspielerinnen, das kommt einem doch bekannt vor. Aber es schadet natürlich nicht, wenn bei der EM in der Schweiz gespielt werden würde wie bei der EM in England 2022. Da kamen die Deutschen mit Kopfballungeheuer Alexandra Popp schließlich ins Finale.