Bei der WM 2022 in Katar wäre Mads Buttgereit fast berühmt geworden. Dass er es am Ende doch nicht wurde, hatte zwei Gründe: Zum einen wurde so viel über farbige Binden an Oberarmen diskutiert, dass niemand Zeit hatte, auf Oberarme zu achten, die vor Freistößen Zeichen aussenden. Zum anderen lag es am Linienrichter des Vorrundenspiels gegen Spanien. Er nahm Antonio Rüdigers Kopfballtor wegen Abseits zurück – einen Treffer, der auch deshalb zustande gekommen war, weil der Freistoßschütze Joshua Kimmich mittels seines Oberarms eine Freistoßvariante angezeigt hatte.
Zweieinhalb Jahre später, beim Nations-League-Spiel in Mailand im März 2025, ist Mads Buttgereit, 39, immerhin kurz im Bild gewesen. Als die Kameras nach dem zweiten Tor der DFB-Elf die deutsche Trainerbank in den Blick nahmen, fanden sie dort auch Buttgereit, der seinen Jubel mit einem wissenden Grinsen untermalte. Das Tor, das Leon Goretzka nach Kimmichs Eckball erzielt hatte, kannte Buttgereit schon, er hatte es am Tag zuvor bereits gesehen.

Nationalspieler Leon Goretzka
:Aufgewacht bei Harfenklängen
Als Julian Nagelsmann die deutsche Nationalelf reformierte, war der Verzicht auf Leon Goretzka ein wesentlicher Bestandteil. Nun hat Goretzka sich wieder bewiesen – als torgefährlicher Gestalter und Bewerber auf die knappen Plätze im Mittelfeld.
Viel Zeit zum Trainieren hatte die DFB-Elf zwar nicht vor dieser Nations-League-Partie, aber dafür hat es noch gereicht: Eckball Kimmich auf den sogenannten ersten Pfosten, mitten hinein in den Raum, in den Goretzka sprintet. Exakt diese Variante haben die Nationalspieler am Tag vor dem Spiel trainiert, in genau dieser Personalkombination, angeleitet vom deutsch-dänischen Standardtrainer Buttgereit, den Hansi Flick einst zum Verband gebracht hatte. Und in der Halbzeit des Spiels, so erzählte Kimmich später, habe ihn Goretzka noch mal ermuntert, den Ball genau in diesen Raum zu schicken, inklusive eines sachdienlichen Hinweises („Du flankst immer 20 Zentimeter zu hoch“).
„Josh hat sich da sehr gesteigert“, sagt Trainer Nagelsmann über Kimmichs häufig kritisierte Eckstöße
Er glaube nicht, dass es „in Europa noch einen Spieler gibt, der aus dem Stand so brutale, aggressive Flanken schlagen“ könne, sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann und bezog sich auch auf Kimmichs Vorlage vor Tim Kleindiensts 1:1. Ein erstaunliches Kompliment, wenn man bedenkt, wie reflexhaft Kimmichs Standardsituationen immer wieder diskriminiert worden sind. Tatsächlich hatte man ja eine Zeit lang den Eindruck, als würde sich Kimmich diese Bälle nur schnappen, weil er gar nicht anders kann, als einfach alles, alles, alles auf dem Feld zu organisieren; so bequem hat sich das Publikum in dieser Sichtweise eingerichtet, dass es ganz übersehen hat, wie sehr dieser umfassende Musterschüler natürlich auch an dieser Disziplin gearbeitet hat. „Sehr gut“ setze Kimmich die Ecken inzwischen, lobte Nagelsmann, auch bei Bayern habe sich „Josh da sehr gesteigert“.
Das Ziel des Bundestrainers ist es, dass Siege wieder selbstverständlich werden, so wie früher, als die DFB-Elf eine gefürchtete Tugendmannschaft war. Auf dem Weg dahin wäre es ein erheblicher Fortschritt, wenn sie auch die gefürchtete deutsche Tugenddisziplin (= Ecken, Freistöße) wieder gewinnbringend einsetzen könnte.