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Die EM 2024 in Deutschland: Gar nicht mal so unpolitisch – Sport

by Marko Florentino
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Es sind scheinbar lustige Bilder, die am zweiten Tag dieser Europameisterschaft um die Welt oder zumindest den europäischen Kontinent gehen: Ein albanischer Fußballfan zerbricht vor italienischen Augenzeugen demonstrativ ein Bündel Spaghetti. Die Szene wird begleitet vom Gelächter aller Beteiligten, gemeinsam feiernden Fans und dem Schwenk auf eine Flagge Großalbaniens … – Moment: Großalbanien?

Ja, auch die Träume albanischer Nationalisten, die sich ein Staatsgebiet wünschen, das weit über die aktuellen Grenzen der Republik auf dem Westbalkan hinausgeht, bekommen Raum bei dieser Europameisterschaft in Deutschland. Dabei sollte das Turnier nach der heiklen und speziell vom DFB-Team vermurksten Katar-WM doch eigentlich so wenig wie möglich mit Politik zu tun haben. „United by Football“ lautete das offizielle Motto. Das klappte zumindest nicht immer. Nationalistische und rassistische Episoden einer vermeintlich unpolitischen Veranstaltung.

Hitlergrüße auf Fanfesten und -märschen

Während Fußballdeutschland den überzeugenden 5:1-Auftaktsieg gegen die schottische Auswahl feiert, melden Polizeibehörden aus Bremen und Rostock, dass sie mehrere Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung aufgenommen haben. Bei Public Viewings sollen Menschen die rassistische Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gegrölt und den Hitlergruß gezeigt haben. Solche Vorfälle ziehen sich, insbesondere bei Public Viewings und in den offiziellen Fanzonen, durch das gesamte Turnier; etwa in Frankfurt, wo inzwischen der Staatsschutz gegen zwei junge Männer ermittelt, wie die taz berichtet. Sie sollen während des Viertelfinales gegen Spanien mehrmals den Hitlergruß gezeigt haben. Und in Heilbronn gab es laut Polizei während des Achtelfinalspiels gegen Dänemark „Sieg Heil“-Rufe. Ungarische Fans fallen ebenso mit rechtsextremem Gebaren auf: Sie zeigen vor dem Spiel gegen Deutschland auf einem Fanmarsch Hitlergrüße, stimmen „L’Amour toujours“ an und präsentieren im Stadion ein „Free Gigi“-Transparent, das spätestens seit dem Sylt-Video als ein Code der rechten Szene gelesen werden muss.

Albanische Großmachtfantasien

Nicht nur in der Dortmunder Innenstadt vor dem ersten EM-Spiel der albanischen Nationalmannschaft, sondern auch später im Stadion präsentieren deren Fans die Fahne eines Großalbaniens sowie Symbole der paramilitärischen Gruppierung UÇK, der zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Die Uefa ermittelt und verhängt eine Geldstrafe. Der albanische Fußballverband muss 10 000 Euro zahlen, wegen der „Übermittlung provokativer Botschaften, die nicht zu einer Sportveranstaltung passen“, so die Uefa. Als der albanische Nationalspieler Mirlind Daku wenige Tage später, nach dem Spiel gegen Kroatien, antiserbische Parolen anstimmt, bittet die Uefa erneut zur Kasse. Diesmal muss der albanische Verband 25 000 Euro zahlen, Daku wird zudem für zwei Spiele gesperrt. „Ein Fehler“ sei es gewesen, dem 26-Jährigen das Megafon nach Spielende in die Hand zu drücken, sagt die albanische Fanvertreterin Aridita Pemaj im Gespräch mit der SZ. „Aber wir haben das Gefühl, die serbischen Fans können machen, was sie wollen, und werden dafür nicht bestraft.“

Präsidentensohn in Gelsenkirchen

Tatsächlich sanktioniert die Uefa auch den serbischen Fußballverband nach dem ersten Vorrundenspieltag. „No Surrender“ heißt es auf einem Transparent, das die Fans beim Spiel gegen England in Gelsenkirchen hissen. Auch das hat einen nationalistischen Hintergrund, weil es Kosovos Unabhängigkeit ablehnt. Beim Fanmarsch vor Anpfiff sollen Fangruppen „Kosovo ist Serbien“ skandiert haben. Ebenfalls am Ort: Danilo Vučić, Sohn des autokratischen serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić. Dem Junior werden seit Jahren Verbindungen in die rechtsextreme Hooliganszene von Partizan Belgrad nachgesagt. Ein Video aus Gelsenkirchen zeigt wohl, wie Vučić von seinen Leibwächtern davon abgehalten wird, sich in eine Prügelei zu stürzen. „Dass sich nationalistische Konflikte vom Balkan im Fußball widerspiegeln, ist nichts Neues“, sagt Jonas Gabler, Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS), am Telefon. „Ich bin beruhigt, dass die Uefa in ihrem Kompetenzbereich, also bei Spielern und Vorfällen im Stadion, deutliche Zeichen setzt.“ Der serbische Verband muss 14 500 Euro zahlen, außerdem laufen Uefa-Ermittlungen wegen angeblicher Affenlaute aus der serbischen Fankurve in Richtung englischer Spieler.

Türkischer Wolfsgruß

Zum meistdiskutierten Fall nationalistischer Symbolik bei dieser Europameisterschaft wird der sogenannte Wolfsgruß, den der türkische Innenverteidiger Merih Demiral beim Achtelfinalsieg gegen Österreich zeigt. Die Uefa sperrt ihn daraufhin für zwei Spiele. Auffällig ist, dass sie in diesem Fall nicht bloß die „provokative Botschaft“ anprangert, Demiral habe auch „gegen die Grundregeln des anständigen Verhaltens verstoßen (…) und den Fußballsport in Verruf gebracht“. Die Grauen Wölfe waren insbesondere in den 1970er-Jahren für zahlreiche Morde an Linken und Minderheiten verantwortlich, heute ist ihr politischer Arm, die MHP, an der türkischen Regierung beteiligt. Zum türkischen Viertelfinale gegen die Niederlande kommt Präsident Recep Tayyip Erdoğan ins Stadion nach Berlin, auf den Straßen und bei der Nationalhymne ist der Wolfsgruß allgegenwärtig. Die Polizei stoppt sogar zwischenzeitlich den Fanmarsch, weil er „keine Plattform für politische Botschaften“ sei. Der türkische Verband kritisiert unterdessen die Entscheidung, Demiral zu sperren, als „inakzeptabel, illegal und politisch“.

Jonas Gabler von der KoFaS sagt: „Den größten Handlungsbedarf gibt es beim Umgang der Nationalverbände mit solchen Vorfällen.“ Die Uefa müsse sich fragen, wie der Druck auf die Verbände erhöht werden könne, damit sie die Fälle stärker verurteilten. Vorbildlich agierte in dieser Hinsicht der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB), der zu einem Banner der rechtsextremen Identitären Bewegung mitteilte: „Hetzerische Botschaften wie diese haben im Fansektor des Nationalteams keinen Platz.“



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