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Die Weimarer Republik hätte nicht scheitern müssen. Volker Ullrichs neues Buch. – Politik

by Marko Florentino
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Für den Historiker Reinhart Koselleck war die Geschichte vordergründig eine schlechte Lehrerin, wie er in seinem berühmt gewordenen, 1967 erstmals erschienenen Aufsatz „Historia Magistra Vitae“ schrieb. Er begründete dies mit der Beschleunigung des Wandels seit der Neuzeit, welcher von Generation zu Generation grundlegend neue Begebenheiten geschaffen habe. Gemeinsame Erfahrungsräume seien dadurch obsolet geworden. Die Komplexität des Unbekannten sei an die Stelle historischer Stetigkeit getreten. Gleichwohl lag es Koselleck fern, der Historie ihren Nutzen für die Gegenwart und Zukunft abzusprechen. Doch müssten dafür die Strukturen und Entwicklungszusammenhänge einer geschichtlichen Epoche anhand konkreter Einzelfälle aufgearbeitet werden. Nur so ließen sich Befunde sichtbar machen, deren Transfer einen Erkenntnisgewinn für die Gegenwart ermögliche.

Diesem Ansatz ist der Historiker und Publizist Volker Ullrich in seinem neuen Buch über die Ursachen und Hintergründe des Scheiterns der Weimarer Republik gefolgt. „Schicksalsstunden einer Demokratie“ ist keine umfassende Geschichte der etwa 14 Jahre zwischen 1918 und 1933, derer es ohnehin bereits zur Genüge gibt. Vielmehr handelt es sich um historische Tiefenbohrungen zu ausgewählten Ereignissen und Entwicklungen, welche in der Rückschau als Kulminationspunkte des Geschehens verstanden werden können, auch wenn dies den Zeitgenossen in den meisten Fällen nicht bewusst war. Und in deren Verlauf die Weichen der Geschichte auch anders hätten gestellt werden können, womöglich sogar so, dass die Katastrophe des Jahres 1933 abwendbar gewesen wäre.

Zehn Tiefenbohrungen, keine Gesamtgeschichte

Zehn Beispiele sind es, die Ullrich näher beleuchtet. Sie fallen, wenig überraschend, fast allesamt in die beiden Krisenphasen der Weimarer Republik, also in die Zeitspanne zwischen Kriegsende und Revolution 1918/19 und Hyperinflation 1923, sowie vom Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933. Einzige Ausnahme ist die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 in Nachfolge des verstorbenen Sozialdemokraten Friedrich Ebert. Für Ullrich ein Rechtsruck, der vermeidbar gewesen wäre, hätte sich die Linke im zweiten Wahlgang auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt. Im Unvermögen und Unwillen der moderaten und linken demokratischen Kräfte zur Zusammenarbeit erkennt Ullrich ein Grundproblem der Zeit, das maßgeblich zur Radikalisierung von Parteien und Gesellschaft von den späten 1920er-Jahren an beigetragen habe. Exemplarisch nennt er das „Modell Thüringen“, wo 1930 die NSDAP erstmalig in eine Landesregierung einzog, befördert von bürgerlich-konservativen Kräften, die dem Irrglauben aufsaßen, den Radikalismus und ideologischen Fanatismus der Nazis politisch einhegen zu können. Eine Fehleinschätzung, die sich im Januar 1933 in verhängnisvoller Weise wiederholte.

Rechtsruck 1925: Die Wahl Paul von Hindenburgs (Mitte) zum Reichspräsidenten war eine Zäsur. Rechts Reichskanzler Hans Luther. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Verfehlte Weichenstellungen verortet Ullrich in der Frühphase der Weimarer Republik. In der Verwaltung und bei den Beamten habe man auf Kontinuität statt Wandel gesetzt. Und die militärische Oberste Heeresleitung (OHL) sei umgehend wieder zu einem wichtigen Machtfaktor avanciert, auch deshalb, weil man in demokratischen Kreisen den Versprechen der alten Eliten, das neue System mitzutragen, mit allzu großer „Vertrauensseligkeit“ begegnete. Bei stärkerem Gestaltungswillen allen voran der Sozialdemokratie, so Ullrichs Fazit in Anlehnung an ein Verdikt von Heinrich August Winkler, hätte man nach 1918 sehr viel mehr verändern können; so hingegen seien die Republikfeinde in zentralen Machtpositionen verblieben, von wo aus sie fortan ihre Angriffe auf die Demokratie ausführten.

Kein Generalstreik nach dem „Preußenschlag“

Wie gering die Widerstände waren, auf die sie dabei trafen, verdeutlicht Ullrich anhand des Kapp-Lüttwitz-Putsches 1920, als Teile der Reichswehr die junge Republik an den Rand des Untergangs brachten. Erst ein noch nie da gewesener Generalstreik der Arbeiterschaft zwang die aufständischen Militärs in die Knie. Ein Instrument, dessen Anwendung sich Ullrich auch zwölf Jahre später gewünscht hätte, als beim „Preußenschlag“ die dortige sozialdemokratisch geführte Regierung illegal ihres Amtes enthoben und durch Franz von Papen als Reichskommissar ersetzt wurde. Wie beim rechtsradikalen politischen Terror in der Frühphase der Weimarer Republik, von Ullrich dargelegt anhand der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau 1922 durch Mitglieder der „Organisation Consul“, trafen die Täter auf eine nachsichtige Justiz. Ihr Strafmaß fiel durchweg gering aus, sofern sie nicht ganz freigesprochen wurden. Ullrich erachtet die laxen Reaktionen der Republik auf die gegen sie gerichteten Angriffe gleich in doppelter Hinsicht als verheerend, beförderten sie doch sowohl den Rechtsruck im Bürgertum als auch die Radikalisierung der Arbeiterschaft nach links.

Dass die Nazis im Januar 1933 die Macht nicht an sich gerissen haben, sondern sie ihnen zugetragen wurde, ist Konsens. Doch war auch dieser Schlusspunkt der ersten deutschen Demokratie für Ullrich nicht alternativlos. Hätte Hindenburg Kurt von Schleicher nur einige Monate länger als Reichskanzler im Amt belassen, wäre die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung womöglich der Republik zugutegekommen. So jedoch war es zu spät: Binnen fünf Monaten und mit einer zuvor von der Demokratie nie gezeigten Entschlossenheit beseitigten die Nazis das Institutionengebäude des morschen Staates; mit dem „Röhm-Putsch“ am 30. Juni 1934, der in Wahrheit ein NS-Terrorakt war, beseitigten sie ihre letzten verbliebenen Widersacher und stellten die Weichen auf Diktatur.

Massenjubel: Innerhalb weniger Monate hatte Adolf Hitler die Demokratie in eine Diktatur umgebaut, die meisten Deutschen freute das, Foto vom Reichsparteitag 1935. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Ullrich argumentiert mit dem Wissen des Nachgeborenen. So war der Umsturz 1918/19, in der Rückschau als nicht hinreichend gewertet, für den zeitgenössischen Publizisten Theodor Wolff die „größte Revolution aller Zeiten“. Wohingegen der Machtantritt Hitlers nach Jahren politischer Instabilität und rasch wechselnder Regierungen nur von wenigen Hellsichtigen frühzeitig als Epochenwandel erkannt wurde. 

Auch heute sei die Sorge um die Demokratie wieder groß, so Ullrich. Als neu wertet er ihre globale Fragilität, die ihn an die Zwischenkriegszeit erinnert. Weimarer Verhältnisse drohen folglich nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen westlichen Staaten.

Eine Brandmauer gegen Rechtsextremisten gab es nicht

Was aber sind nun die Lehren, die man aus den Strukturmerkmalen und Entwicklungslinien der Weimarer Jahre ziehen kann? Den Transfer überlässt Ullrich seinen Leserinnen und Lesern. Hinweise finden sich allenfalls en passant, etwa, wenn er am Beispiel des Regierungsdebüts der Nazis in Thüringen 1930 erwähnt, dass es eine „Brandmauer“ nach rechts damals eben nicht gegeben habe.

Volker Ullrich: Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik. Verlag C.H. Beck, München 2024. 383 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: C.H. Beck)

Drei Schlussfolgerungen für den heutigen Umgang mit den Feinden der Demokratie lassen sich nach Lektüre von „Schicksalsstunden der Weimarer Republik“ dennoch festhalten:

Erstens, Gutgläubigkeit im Umgang mit Extremisten ist gefährlich. Jene, die ein System gewaltsam beseitigen wollen, werden vor Täuschung und Lüge nicht zurückschrecken. Planspiele zur politischen Einhegung und Mäßigung haben sich historisch als nicht zielführend erwiesen.

Zweitens, der demokratische Rechtsstaat bedarf der Stärke und muss diese zum eigenen Schutz auch konsequent anwenden. Schwäche und falsche Toleranz spielen nur den Feinden der Demokratie in die Hände, die ihrerseits, sofern dazu ermächtigt, nicht vor radikalen Maßnahmen zurückschrecken.

Drittens, die Mitte muss zusammenstehen, wenn es darum geht, Demokratiefeinde abzuwehren. Dazu zählen die Parteien, aber auch Wirtschaft und Gewerkschaften. Selbst wenn das bisweilen bedeutet, über den politischen Schatten zu springen und Eigeninteressen zurückzustellen.

Florian Keisinger ist Historiker.



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