Es ist gut viereinhalb Jahre her, dass der bayerische Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) via Presseerklärung das Aus für die enorm umstrittene neue Höchstspannungsleitung P44 von Schalkau in Thüringen ins unterfränkische Grafenrheinfeld verkündet hat. Die Meldung trug den Titel «Großer Durchbruch für die Energiewende in Bayern«, der entscheidende Satz von Aiwanger darin lautete: «Es ist ein großer Erfolg und entlastet die Bürger in Nordbayern, dass wir P44 wegverhandeln konnten.» Nun kommt die Höchstspannungsleitung doch, wenn auch mit einer abgewandelten Trasse und unter dem neuen Namen P540. Das hat Aiwanger nun bekannt gegeben. «Jetzt wird von der Bundesnetzagentur bis 2045 vorausgeplant», sagt er. «Dadurch ändern sich die Planungen für den Stromnetzausbau in Unterfranken.»
Außerdem erklärte der Energieminister, dass die Bundesnetzagentur den Bedarf für eine weitere Stromautobahn von Norddeutschland nach Bayern anerkannt habe. Dazu wird es vom Südwestlink von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg einen kurzen Abzweiger in das unterfränkische Trennfeld (Landkreis Main-Spessart) geben. Die Stromautobahn hat eine Leistung von zwei Gigawatt, was ungefähr der Leistung von zwei Atomkraftwerken entspricht. Mit dem Südlink und dem Südostlink werden damit einmal drei Stromautobahnen Unmengen an Windstrom aus Norddeutschland nach Bayern transportieren können.
Eine Überraschung ist vor allem die neue P540. Von dem Projekt war bislang nicht die Rede. Anders bei der dritten Stromautobahn. Bayerns Forderungen danach und die Überlegungen dafür waren schon im November 2023 bekannt geworden. Der Grund für die neue Stromautobahn und P540 ist freilich der gleiche: Es ist der immense Strombedarf des Freistaats und die Einsicht der Staatsregierung, dass er nur durch Importe von Windstrom aus Nord- und Mitteldeutschland gesichert werden kann. Das hat inzwischen offenkundig auch Aiwanger erkannt. Er gehörte über viele Jahre hinweg zu den schärfsten Kritikern der Stromautobahnen und anderer Leitungsprojekte im Freistaat und lehnte sie bis weit in seine Zeit als Wirtschafts- und Energieminister ab. So sagte er 2020: «Meine Aussage ist, ich will keine dieser Trassen. Wir müssen andere dezentrale Energiesysteme entwickeln und nicht diese großen Stromtrassen quer durch Bayern verlegen.»
Erst vor gut einem Jahr bekannte Aiwanger sich im Angesicht der Energiekrise zum Südostlink. Und im November begründete die Staatsregierung ihre Forderung nach einer dritten Stromautobahn in den Freistaat mit den Worten, dass «der Strombedarf der bayerischen Industrie und für die Wasserstofferzeugung in Bayern unterschätzt» werde. Aiwanger hatte da die Netzbetreiber schon darauf hingewiesen, dass allein der Strombedarf der Unternehmen im südostbayerischen Chemiedreieck im Zuge der Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion von heute 3,8 Milliarden Kilowattstunden im Jahr auf bis zu 17,7 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr ansteigen werde. Dies müsse beim Netzausbau berücksichtigt werden, heißt es in dem Schreiben.
Der genaue Verlauf der zusätzlichen Stromautobahn und von P540 steht noch nicht fest. Bisher sind nur Korridore ermittelt. Der für die Stromautobahn ist laut Bundesnetzagentur fünf bis zehn Kilometer breit und betrifft die Landkreise Bad Kissingen, Main-Spessart und Würzburg. Wie die anderen Stromautobahnen soll auch der Südwestlink als Erdkabel verlegt werden. An seinem bayerischen Endpunkt in Trennfeld muss eine Konverterstation errichtet werden, für die ein Areal mit fünf Hektar Fläche benötigt wird. Die P540 wird wie die vormalige P44 einmal vom thüringischen Schalkau nach Grafenrheinfeld führen. Allerdings nicht in direkter Linie, wie die P44, sondern in einem weiten Bogen über Münnerstadt (Landkreis Bad Kissingen). Dort ist ein Umspannwerk geplant, über das Strom aus Windrädern und Photovoltaikanlagen in der Region in P540 eingespeist werden soll.