Der Mann, der Deutschland 902 Millionen Euro abgerungen hat, braucht jetzt erstmal ein paar Nüsse. Es ist ein Märzabend in Hamburg, hinter Peter Carlsson liegt ein langer Tag, gegessen hat er wenig. Schon früh auf dem Programm: Sport mit Daniel Günther, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Die gemeinsame Joggingrunde führte über den windigen Büsumer Deich, auch das noch. Aber Carlsson mag Wind und das alles hatte natürlich Symbolkraft: Der Chef der Firma Northvolt begegnet selbst widrigen Verhältnissen leichtfüßig.
Peter Mikael Carlsson, 53 Jahre alt, ist die große Hoffnung von Schleswig-Holstein. 902 Millionen Euro Subventionen und Garantien haben Bund und Länder locker gemacht, damit er vom Jahr 2026 an im Kreis Dithmarschen E-Autobatterien baut. Die Energie für Northvolt kommt von den Windrädern, die es hier zuhauf gibt. Es ist eine enorme Investition, mindestens 3000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Doch wie will der Schwede die Fachkräfte aufs platte Land locken?
Carlsson, fast zwei Meter groß und schlaksig, steht nach der Baustelleneröffnung bei fünf Grad in Lohe-Rickelshof jetzt im Hamburger Club der Wirtschaftsjournalisten, er erzählt: Er habe sich Gedanken gemacht, wie man aus der Region «eine Art Biarritz von Schleswig-Holstein» machen könne. Großes Gelächter im Raum. Carlsson guckt irritiert, warum so viel Skepsis? Das wäre doch was: Morgens Batterien montieren, nachmittags Surfen in Büsum oder St. Peter Ording. Man müsste sich halt nur ein bisschen wärmer einpacken als am Atlantik.
Im Gymnasium wirbt er schon mal um potentielle Arbeitskräfte
Es ist eine große Liebeserklärung, die Carlsson Schleswig-Holstein dieser Tage macht. Und wahrscheinlich würde er ganz anders auftreten und handeln, wenn er nicht vor ein paar Jahren noch bei Tesla gearbeitet hätte. Er kam mit viel Erfahrung und noch mehr Kontakten: 13 Jahre lang war er für Sony Ericsson tätig, dann beim Halbleiterhersteller NXP Semiconductors in Singapur. Von 2011 an arbeitete er schließlich bei Tesla in Kalifornien, war Einkaufschef des Autobauers und kümmerte sich um den Aufbau der Lieferketten für die Fabrik in Nevada. «Ich hätte nie meine eigene Firma gegründet, wenn ich nicht dort gewesen wäre», sagt er, es war eine lehrreiche Zeit. Nach fast fünf Jahren stieg Carlsson aus, der Stress war ihm zu viel geworden. Doch dann bekam er einen Anruf aus Schweden von Finanzinvestor Carl-Erik Lagercrantz, der ihn von dem Aufbau einer Batteriefabrik in Europa überzeugen wollte. Carlsson holte sich mit Paolo Cerutti noch einen Vertrauten von Tesla an die Seite, 2016 war es dann so weit mit der Gründung.
Kritik an dem streitbaren Boss Elon Musk kommt Carlsson nicht über die Lippen, «wir gucken nicht so sehr darauf, was Tesla macht», springt ihm Deutschland-Chef Christofer Haux bei. Aber es ist schon klar, dass sie sehr deutlich wahrnehmen, was der Konkurrent in Sachen E-Mobilität in Deutschland so treibt. In Grünheide in Brandenburg gibt es immer wieder Proteste von der Bevölkerung, im Kreis Dithmarschen halten sich Bedenken bisher in Grenzen. Aus Sicht von Carlsson ist das auch deshalb der Fall, weil sie hier oben im Norden mit der Natur freundlicher umgehen.
Statt wie Tesla für enormen Wasserverbrauch zu sorgen, will Northvolt geklärtes Abwasser von den Stadtwerken nutzen und anfallende Restwärme für das Fernwärmenetz verfügbar machen. So schafft man mehr Akzeptanz in der Bevölkerung, die ohnehin gerade einen Firmenchef erlebt, der sich integrieren will. Er ist der Anti-Musk, uneitel, ansprechbar. Als am Montag der Baustart gefeiert wird, setzt Northvolt die Bürgermeister der kleinen Gemeinden Lohe-Rickelsdorf und Norderwöhrden in die erste Reihe. An die Seite von Olaf Scholz, Robert Habeck und Daniel Günther.
Das alles kann man durchschaubar finden, anbiedernd – oder eben clever. Welche Firmenchefs machen das schon, was Carlsson macht? Es gibt Bilder von ihm bei der Rotkohlernte, beim ansässigen Boßelverein hat er sich als Mitglied angemeldet. Statt eines Spatenstichs wählte er zum Baustart einen Kugelwurf des nordischen Traditionssports. Er hat eine Fachhochschule und ein Gymnasium in Heide besucht, um sich als Arbeitgeber vorzustellen; saß bei Schülern einer 11. Klasse und hat um ihr Interesse geworben. «Mitarbeiter zu finden, wird eine der großen Herausforderungen dieses Projekts sein», sagt er. Beim Festakt wendete er sich gezielt an die Talente, die die Region mal hatte: «Allen Schleswig-Holsteinern, die ihr Land für Arbeit und Karriere verlassen haben, rufe ich zu: Bitte kommt zurück!» Und dann machte Carlsson auch noch gezielt Werbung, um junge Frauen für die Ingenieursberufe zu begeistern. So oft erlebt man das nicht, in Dithmarschen noch seltener.
Carlsson hat gelernt, dass ein Vorhaben wie seines nur funktioniert, wenn er möglichst viele ins Boot holt. Vor Heide war da schon die Fabrik in Skelleftea in Schweden, die er in einer ähnlich strukturschwachen Gegend aufgebaut hat. «Da haben wir gelernt, dass du mit so einer Fabrik auch eine Art Ökosystem aufbaust, und es ist sehr wichtig, mit der Gemeinschaft zusammenzuarbeiten und transparent zu sein», sagt Carlsson. Über 4000 neue Einwohner hat die Stadt seitdem gewonnen, doch es fehlt an Wohnraum. Eines von mehreren Problemen, die auch auf Dithmarschen zukommen werden. Deswegen redet der Chef viel mit allen möglichen Stellen, er weiß, dass er nicht alleine erfolgreich sein kann.
Eine Lawine kostete Carlsson fast das Leben
In Schweden gilt Carlsson längst als einer der wichtigsten Unternehmer des Landes, 2022 lud ihn König Carl Gustav zur Audienz: Der Northvolt-Chef wurde mit der Goldmedaille der Königlichen Schwedischen Akademie der Ingenieurwissenschaften ausgezeichnet, für sein «herausragendes Unternehmertum, seine Führungsqualitäten und seine Innovationsfähigkeit». Mit Investoren wie Goldmann Sachs und Volkswagen hat er wichtige Unterstützer an seiner Seite, die an seine Überzeugung glauben: Trotz Übermacht chinesischer Hersteller eine grüne Batterie kostengünstig in Europa herstellen zu können.
Ein Selbstläufer wird das nicht, das musste Carlsson auch schon erfahren: Im vergangenen Jahr hing die Produktion in Schweden wegen Lieferproblemen deutlich hinter den Plänen zurück. «Es wird immer wieder Rückschläge geben», sagt Carlsson, aber er glaubt an seinen Weg. «Es gibt einen großen Bedarf bei unseren Kunden, weil wir die Batterien herstellen, die in die nächste Generation ihrer Autos eingebaut werden soll», sagt er. Mehr als 13 Milliarden Dollar Eigen- und Fremdkapital hat er für sein Vorhaben und geplante Expansionen schon eingesammelt.
Vielleicht reicht schon eine Anekdote, um zu verstehen, mit welchem Antrieb er seine Mission verfolgt: 2017 wurde Carlsson bei einem Skiurlaub in Kanada von einer Lawine erfasst und begraben. Als er gefunden wurde, musste er wiederbelebt werden. Der Unternehmer hat das mal im schwedischen Radio erzählt, hausieren geht er damit nicht. Nach dem Erlebnis war ihm klar, was er der Welt noch hinterlassen will.