Zynisch gesagt ist es das Pech der Hunde, dass sie keine Katzen sind. Türkische Straßenkatzen sind heilig, sie werden versorgt, mit Nahrung und Liebe, als wären sie die eigentlichen Besitzer des Landes, und der Altar, auf dem die Menschen sie anbeten, heißt Instagram. Katzen in Istanbuler Metrostationen, stundenlang an dem Fleck, den passieren muss, wer vorhat, die Station per Rolltreppe zu verlassen. Niemand verscheucht sie. Katzen auf Supermarktkassen, dort, wo man ablegt, was man kaufen möchte, also dann, falls keine Katze dort schläft. Niemand käme auf die Idee, dem Tier zu vermitteln, den Platz zu räumen. Auf Instagram gibt’s dafür ganz viel Liebe.
Nun ist es so, dass in der katzenverrückten Türkei auch geliebte Hunde leben. Solche, die von den Nachbarn einen Namen bekommen haben und dazugehören wie der Sesamkringel zum Morgen. Auf die Idee aber, Katzen, die niemandem gehören, massenhaft zu töten, ist bisher kein türkischer Politiker gekommen, er könnte seine Karriere auch augenblicklich vergessen. Als kürzlich ein Mann eine Katze tottrat, soll sich Präsident Erdoğan persönlich für eine harte Strafe eingesetzt haben, und auf X trendete ein Hashtag: #erosiçinadalet, Gerechtigkeit für Eros. So hieß die Katze.
15 bis 16 Millionen Hunde auf türkischen Straßen: Wie viele tatsächlich herumstreunen, weiß niemand so genau
Erdoğans Partei AKP ist es, die gerade ein Gesetz plant, dem Tausende Hunde in der Türkei zum Opfer fallen könnten. Um einen schmerzlosen Tod der Straßenhunde gehe es, schrieb Aydın Ünal, Kommentator der regierungsfreundlichen Tageszeitung Yeni Şafak. Man müsse sich dem Problem stellen, das die Hunde für das Land seien, auch wenn niemand weiß, wie viele es wirklich sind.
Vier Millionen, schätzt das Umweltministerium. Andere gehen von 15 Millionen aus. Ohne Maßnahmen, so glaubte ein AKP-Abgeordneter zu wissen, könnten es innerhalb von zehn Jahren 60 Millionen werden – dann kämen in der Türkei auf drei Menschen zwei Straßenhunde. Unbestritten ist nur, dass die Zahl der Hunde gestiegen ist, offenbar vor allem seit der Pandemie, als sich die Tiere in den Städten noch freier bewegen konnten.
93 Menschen sind in anderthalb Jahren bei Hundeattacken ums Leben gekommen
Auch klar ist, dass die Hunde, anders als Katzen, vielen Menschen Angst machen. Eine Zahl, von der Regierung verbreitet, erzählt davon, dass das Problem real ist: 93 Menschen seien zwischen Mai 2022 und Ende 2023 bei Hundeattacken gestorben. Es müsse also etwas passieren, dachten sich Recep Tayyip Erdoğans Leute, angeblich auch der Präsident selbst. Und zwar? Der Plan war, Hunde auf den Straßen zu fangen und einzuschläfern, sollte sich nach 30 Tagen niemand als Besitzer melden. Die Reaktion war nicht ganz, wie die Regierung sich erhofft hatte. Kaum jemand dankte es ihr, dass sie sich des Problems angenommen hatte. Sehr viele dagegen waren: empört.
Unter den Empörten waren besonders viele, die den Präsidenten auch sonst nicht leiden können. Was auch daran liegt, wie man Hunde sieht: In islamischen Kulturen haben sie nicht den besten Status, oft gelten sie als schmutzig. Es sind nicht nur die säkularen Türkinnen und Türken, die Haustiere besitzen, ihnen Namen geben, in ihnen menschliche Eigenschaften erkennen. Aber sie sind es in der Tendenz. Noch eine Trennlinie in dem polarisierten Land.
Trotzdem hat Erdoğan offenbar falsch eingeschätzt, wie auch seine Anhänger die Pläne finden würden. Ein Präsident, der Hunde töten lässt? Eine Umfrage fand vergangenes Jahr heraus, dass nur drei Prozent der Menschen fürs Einschläfern der Straßenhunde sind. Özgür Özel, der Oppositionschef, nannte das Vorhaben „gewissenlos“ und forderte eine Alternative zum Töten, eine Kampagne zum Sterilisieren der Hunde zum Beispiel. Und endlich genügend Tierheime.
Erdoğan reagierte beschwichtigend. Man wolle für die Tiere einen Platz finden, dann sei der letzte „Schritt“ doch gar nicht nötig. Ob der Präsident trotzdem an dem Gesetz festhält, ist im Moment unklar.