Es hat gedauert, bis die Staaten Europas bereit waren, die zweitwichtigste Einnahmequelle des Kremls anzugehen. Zwei Jahre und zweieinhalb Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine scheint es so weit zu sein. In der 115. Woche dieses Angriffskrieges will die EU erstmals Russlands Erdgassektor sanktionieren. Ziel sind die Exporte von verflüssigtem Erdgas, nach der englischen Abkürzung als LNG bekannt. Ein vertraulicher Entwurf der Maßnahmen liegt der Süddeutschen Zeitung vor. An diesem Mittwoch sollen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel über die neuen Sanktionen beraten. Bis zu einer Einigung und einem Beschluss dürften noch Wochen vergehen.
Flüssigerdgas aus Russland dürfte den Plänen zufolge auch künftig weiter importiert werden. Die Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst schlagen lediglich vor, den Re-Export von LNG von Terminals an Europas Küsten in andere Teile der Welt zu verbieten. Für Häfen vor allem in Belgien, Frankreich und Spanien ist es ein einträgliches Geschäft, den verflüssigten Brennstoff anzunehmen und Schiffe damit zu beladen, die es weiter nach Asien bringen. Der Weitertransport innerhalb Europas bliebe allerdings erlaubt. Dem Entwurf zufolge soll es europäischen Firmen künftig außerdem untersagt werden, sich an neuen LNG-Projekten in Russland zu beteiligen.
Ohne Re-Exporte «bekäme Russland erhebliche logistische Probleme»
Noch 2021 war Russland der wichtigste Gaslieferant der EU-Staaten. Inzwischen ist der Anteil an russischem Gas an der europäischen Versorgung auf etwa 15 Prozent geschrumpft. Wenig mehr als sechs Prozent entfallen auf Flüssigerdgas. Experten zufolge wäre ein Embargo längst verkraftbar und würde Wladimir Putins Kriegskasse empfindlich treffen. Umsetzen ließe es sich aber wohl nicht, denn EU-Sanktionen müssen die 27 Mitgliedstaaten stets einstimmig beschließen.
Doch auch ohne Embargo könnten die neuen Maßnahmen dem Kreml zu schaffen machen. Sollte der Re-Export verboten werden, «dann bekäme Russland erhebliche logistische Probleme», sagt Petras Katinas, Sanktionsexperte der Denkfabrik Centre for Research on Energy and Clean Air. Es würde dann schwierig und deutlich teurer, die asiatischen Märkte zu erreichen, sagt Katinas – denn die halbjährlich vereiste Route nach Osten durch die arktische See ist eine der teuersten überhaupt im globalen Schiffsverkehr.
Neben den auffälligen LNG-Schiffen stehen auch Öltanker im Fokus. Der Entwurf sieht auch Maßnahmen vor gegen andere Schiffe, «die dazu beitragen, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine führen kann». Diesen Schiffen soll künftig der Zugang zu den Häfen «sowie zu einer breiten Palette von Dienstleistungen» in EU-Staaten verwehrt werden. Das zielt auf Tanker ab, die entweder für die staatliche russische Reederei Sowkomflot oder als Teil der sogenannten Schattenflotte russisches Öl exportieren. Nach dem Überfall auf die Ukraine hat Russland systematisch eine Flotte von meist alten, kaum gewarteten und schlecht versicherten Tankern aufgebaut, um seinen Ölexport aufrechtzuerhalten.
Parteien, NGOs und Medienunternehmen sollen kein russisches Geld erhalten dürfen
Sanktioniert werden sollen diese Schiffe, sobald sie auf einer neuen EU-Liste stehen und «Rohöl oder Erdölerzeugnisse (…) befördern, die aus Russland stammen (…) und dabei irreguläre und risikoreiche Schifffahrtspraktiken gemäß den Regeln der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO praktizieren». Das bezieht sich etwa auf sogenannte STS-Transfers, bei denen Öl von einem Schiff auf ein anderes gepumpt wird und die regelmäßig vor Europas Küsten stattfinden. SZ-Recherchen haben zuletzt gezeigt, wie mit Russland verbundene Tanker etwa den Lakonischen Golf in Griechenland für diese Transfers nutzen und dabei auch von griechischen Firmen unterstützt werden.
Ein dritter Schwerpunkt des Sanktionspakets ist ein Finanzierungsverbot unter anderem für politische Parteien, Nicht-Regierungsorganisationen und Medienunternehmen. Solchen Organisationen innerhalb der EU wäre es künftig untersagt, «Finanzmittel, Spenden oder sonstige wirtschaftliche Vorteile oder Unterstützung durch den russischen Staat und die mit ihm verbundenen Unternehmen» zu akzeptieren.
Zur Begründung verweist die Kommission auf Versuche, den öffentlichen Diskurs in der EU zu manipulieren. «Propaganda- und Desinformationskampagnen können die Grundlagen demokratischer Gesellschaften untergraben und sind ein wesentlicher Bestandteil des Arsenals moderner hybrider Angriffe», heißt es in dem Entwurf. Das ist etwa vor dem Hintergrund der zuletzt bekannt gewordenen Vorwürfe um die Online-Plattform Voice of Europe zu sehen, deren Hinterleute Parlamentarier in Europa bestochen haben sollen.
Entsprechend sieht der Entwurf auch EU-Betätigungsverbote für vier Medienhäuser vor: Neben Voice of Europe trifft es die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti, das Kreml-Amtsblatt Rossijskaja Gaseta sowie die regierungsnahe Tageszeitung Iswestija.