Bis Maria Luisa Grohs den Weg vom Rasen des Campus-Stadions zum Eingang des Kabinentrakts bewältigt hatte, verging viel Zeit. Jeder wollte etwas von ihr und sie kam routiniert all den Fragen und Fotowünschen nach, als liefe jeder Spieltag für sie genauso ab. Aber der Ostersonntag war doch ein besonderer. Die Torhüterin des FC Bayern war im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Eintracht Frankfurt jene Spielerin gewesen, die über das Ende dieser Partie entschieden hatte. Im Elfmeterschießen bewegte sie sich so abgezockt zwischen den Pfosten, als befände sie sich in einem Freizeitkick. Und vielleicht lag genau darin ihr Geheimnis.
Weil außer Bayerns Georgia Stanway per Handelfmeter in der 3. Minute und Géraldine Reuteler mit einem wuchtigen Distanzschuss (18.) zum Ausgleich keine andere den Ball im Tor unterbrachte, lief das umkämpfte Duell auf ein großes Finale hinaus. Nach 120 Minuten, die von Lea Schüller als «extrem krasses und anstrengendes Spiel» beschrieben wurden, parierte Grohs den ersten, den zweiten und auch den dritten Frankfurter Schuss vom Punkt. Den vierten Versuch ließ sie durch, aber das war zu vernachlässigen, Pernille Harder verwandelte den direkt folgenden Elfer – und die Münchnerinnen zogen mit einem 3:1 zum fünften Mal nach 1988, 1990, 2012 und 2018 ins Pokalendspiel ein.
«Ich bin nicht von mir überrascht. Ich weiß, ich kann mich in Drucksituationen auf mich verlassen. Deshalb konnte ich sehr entspannt in das Elfmeterschießen gehen», sagte Grohs, nachdem sie als eine der Letzten ihres Teams vom Stadion ins Gebäude eingetrudelt war. Aus der Kabine dröhnte längst in Club-Lautstärke Musik, garniert mit dem Gesang der Siegerinnen. Grohs strahlte gleichermaßen Zurückhaltung, Zufriedenheit und Selbstvertrauen aus – und wirkte bei ihren Sätzen alles andere als überheblich.
Im Abschlusstraining, erzählte die 22-Jährige, habe sie keinen einzigen Elfmeter pariert. Aber statt sich davon verunsichern zu lassen, gab ihr das Zuversicht, weil Grohs umgekehrt wusste, dass sie sich um die Abschlussstärke ihrer Mitspielerinnen keine Sorgen machen muss. «Und ich hatte einfach Bock drauf!», sagte die Keeperin, die 2019 nach ihrem Abitur vom VfL Bochum zum FC Bayern kam, und lachte. «Wenn man einmal im Flow ist und das Gefühl dafür hat, was passiert, liegt man meistens ganz gut.» Auf ihre Trinkflasche hatte sie einen Zettel mit Namen und dazugehörigen Präferenzen geklebt – nur, dass dann die tatsächlichen Schützinnen ganz andere waren. Aber selbst das brachte sie nicht aus der Ruhe, für die sie schon vorher bekannt war.
«Dieses Team hat das Zeug, Geschichte zu schreiben», sagt Klub-Präsident Hainer
Als Grohs schließlich zum Feiern verschwunden war, nahm ein Stockwerk höher ihr Trainer Alexander Straus zur Pressekonferenz Platz. Der Boden vibrierte von den Bässen der Musik. Nachdem der Norweger die Frankfurterinnen zurecht für ihre starke Leistung gelobt hatte, kam er auf seine Spielerin des Spiels zu sprechen, die schon vor den Penalties mit Paraden geglänzt hatte und damit manche Fahrigkeit ihrer Kolleginnen gegen den erklärten Angstgegner wettmachte: «Wir wussten, dass sie diese Mentalität hat, wenn der Druck sehr hoch ist», sagte Straus und ergänzte: «Ich glaube, sie bekommt nicht immer die Anerkennung, die sie verdient. Aber wir glauben sehr an sie.»
Abgesehen vom gestärkten Vertrauen in Grohs bleibt dem FC Bayern nun auch der Glaube ans erste Double der Fußballerinnen erhalten. Erst ein Mal, 2012 gegen den 1. FFC Frankfurt, reüssierten sie im Cup. Und die Intensität des Jubels sowie die glückselige Mimik aller Beteiligten zeigte die Erleichterung über die neue Chance. «Ein Pokalfinale haben wir uns seit Langem gewünscht», sagte die Sportliche Leiterin Bianca Rech. «Das hat eine Riesenbedeutung für uns.» Klub-Präsident Herbert Hainer war wie DFB-Sportdirektorin Nia Künzer und der künftige Frauen-Bundestrainer Christian Wück als Zuschauer im Stadion – und sagte nach dem Erfolgserlebnis, das im unmittelbaren Kontrast zur Ernüchterung bei den Männern steht: «Dieses Team hat das Zeug, Geschichte zu schreiben.»
Im Rahmen des Aufschwungs ist die Fahrt nach Köln am 9. Mai der nächste Beleg für die stetige Weiterentwicklung des Teams. Die Bundesliga führen die Münchnerinnen bei fünf verbleibenden Partien mit sieben Zählern Vorsprung auf Wolfsburg an – jenem Verein, der ihr Finalgegner sein wird. In der Liga siegten sie jüngst deutlich mit 4:0, aber der VfL und der Pokal, das ist eine besondere Liebesgeschichte. Am 16. November 2013 verloren die Wolfsburgerinnen zuletzt in diesem Wettbewerb und könnten dieses Jahr den Titel zum zehnten Mal in Serie gewinnen. Und weil es 2024 womöglich ihre einzige Trophäe für die reich bestückte Vitrine sein wird, dürfte die Motivation umso größer sein. Das enorme Selbstbewusstsein bekam am Ostersamstag beim 9:0 die SGS Essen deutlich zu spüren.
Für Maria Luisa Grohs geht es neben dem Titel dann auch um einen Platz im Nationalteam, vielleicht sogar schon für die Olympischen Spiele. Für den Start der EM-Qualifikation am 5. April in Österreich und am 9. April gegen Island entschied sich Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch noch für Merle Frohms (Wolfsburg), Ann-Katrin Berger (FC Chelsea) und Stina Johannes (Frankfurt). Grohs sagte dazu am Sonntag: «Ich reiche das Bewerbungsschreiben gerne so ein.»
Im Pokal-Endspiel 2018 zwischen dem FC Bayern und dem VfL setzte sich Wolfsburg übrigens im Elfmeterschießen durch. Aber da stand ja auch Maria Luisa Grohs noch nicht im Tor.