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G 20 in Rio de Janeiro: Ende der Samba-Diplomatie – Politik

by Marko Florentino
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Gut möglich, dass es Orte auf dieser Welt gibt, die besser geeignet sind für ein internationales Gipfeltreffen als Rio de Janeiro: Zu unübersichtlich ist die Geografie der Stadt, zu feucht-heiß die Temperaturen, zu hoch die Kriminalität. Auf der anderen Seite sind da aber auch die traumhaften Strände, die bewaldeten Hügel, der Zuckerhut-Felsen und die Christus-Statue, die ihre Arme ausbreitet über der Stadt: Was für eine Kulisse!

Vor ihr findet am Montag und am Dienstag das G-20-Gipfeltreffen statt: Staatschefs und Politiker aus den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern treffen sich, um über die Welt und ihre Probleme zu sprechen. Von denen gibt es derzeit wahrlich mehr als genug: Klimakrise, Nahostkonflikt und der Krieg Russlands in der Ukraine. Und während demokratische Werte an Gewicht verlieren, sind Autokraten auf dem Vormarsch.

Geschäfte mit den USA, Handel mit China, gute Beziehungen mit Russland

Ausgerechnet in diesen schwierigen Zeiten steht es Brasilien zu, das G-20-Treffen auszutragen, einem Land, das wie kaum ein anderes auf Harmonie und Balance in der Welt bedacht ist und dessen bisherige Außenpolitik sich wohl am besten zusammenfassen lässt unter dem Motto: Wir können mit allen. Über Jahrzehnte war man mit dieser Samba-Diplomatie höchst erfolgreich: mal ein Schritt zur einen, dann zur anderen Seite, und bei allem nie das Lächeln vergessen. Nun aber, angesichts einer zunehmend polarisierten Welt, stellt sich die Frage, was diese Strategie noch bewirken kann.

Dabei ist es nicht so, als ob Brasilien kein Gewicht hätte in der Welt: Das Land ist mit etwa 215 Millionen Einwohnern die mit Abstand bevölkerungsreichste Nation Lateinamerikas und gleichzeitig die wichtigste Wirtschaftsmacht der Region. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahrzehnten das brasilianische Selbstvertrauen gewachsen ist und damit auch der Wunsch, sich global mehr Einfluss zu verschaffen.

Mit Beginn der 2000er-Jahre begann die Regierung in der Hauptstadt Brasília, sich um internationale Großveranstaltungen zu bemühen, die Fußballweltmeisterschaft 2014, die Olympischen Spiele in Rio 2016. Gleichzeitig schaltete sich das Land immer öfter in internationale Diskussionen ein, beispielsweise wenn es darum ging, den UN-Sicherheitsrat zu erweitern. Und Brasilien schmiedete neue Allianzen, allen voran Brics, ein Staatenbündnis, gegründet 2009 gemeinsam mit Russland, Indien und China und später noch erweitert um Südafrika.

Brasilien sah sich als Mittler zwischen dem globalen Süden, den aufstrebenden Schwellenländern und den reichen westlichen Industriestaaten. Eine durchaus komfortable Situation: Während man weiterhin Geschäfte mit den USA machte, baute man den Handel mit China massiv aus und pflegte dazu noch gute Beziehungen zu Russland.

Munition für die Ukraine? „Brasilien ist ein Land des Friedens.“

Vor allem ein Mann wurde zum Gesicht dieses neuen, selbstbewussten und unabhängigen Brasiliens: Luiz Inácio Lula da Silva, der frühere und amtierende Präsident des Landes. 2002 gewann der heute 79-Jährige zum ersten Mal die Wahlen. Kurz darauf begannen die Rohstoffpreise auf den Weltmärkten in immer neue Höhen zu klettern, und das Geld sprudelte nur so in die brasilianische Staatskasse. Lula ließ sich feiern: 2009 bezeichnete ihn der damalige US-Präsident Barack Obama sogar als „beliebtesten Politiker der Welt“.

Dann aber folgte ein jäher Absturz: Lula wurde 2017 wegen Geldwäsche und Korruption angeklagt und zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil war höchst umstritten, und am Ende wurde es wieder aufgehoben. Da war es allerdings schon zu spät: Statt Lula hatte 2018 bei den Wahlen der rechtsextreme Jair Bolsonaro gewonnen.

Unter seiner Präsidentschaft versank Brasilien in der außenpolitischen Bedeutungslosigkeit, und das änderte sich erst wieder, als 2022 abermals Lula die Wahlen gewann. Noch bevor er überhaupt sein Amt angetreten hatte, erklärte er vollmundig: „Brasilien ist zurück!“ Doch der Beifall, den er anfangs dafür erntete, ist mittlerweile Schulterzucken oder sogar Kopfschütteln gewichen.

Anfang 2023, zum Beispiel, kurz nach Lulas Amtsantritt, reiste Bundeskanzler Olaf Scholz hoffnungsvoll nach Brasilien. „Ihr habt gefehlt“, erklärte er dort seinem „lieben Lula“. Als es dann aber um Munitionslieferungen in die Ukraine ging, erklärte der südamerikanische Staatschef: „Brasilien ist ein Land des Friedens“, darum wolle man keine Beteiligung am Krieg, „nicht einmal indirekt“. Für Präsident Lula war dies die logische Fortführung der Außenpolitik, die sein Land seit Jahrzehnten verfolgt. Für die deutsche Regierung aber war es eine herbe Abfuhr.

Lula und der argentinische Staatschef Milei gehen sich erfolgreich aus dem Weg

In einer sich immer weiter polarisierenden Welt kommt Brasilien mit seinem Anspruch, sich mit allem und jedem zu verstehen, häufiger an seine Grenzen. Das sieht man zum Beispiel an der Staatengemeinschaft Brics: Diese wurde zuletzt erweitert, neue Mitglieder sind Äthiopien, Saudi-Arabien und Iran. Längst sehen manche dieses „Brics+“ als ein antiwestliches Bündnis, einen Klub von Autokraten und De-facto-Diktatoren – und mittendrin Brasilien, ein Land, das eigentlich stolz darauf war, die Militärherrschaft in den 1980er-Jahren hinter sich gelassen zu haben und heute die größte Demokratie in Südamerika zu sein.

Für Präsident Lula, so viel ist klar, wird der G-20-Gipfel zu einer Kraftprobe. Immerhin: Wladimir Putin hat bereits erklärt, an dem Treffen nicht teilnehmen zu wollen, was Brasilien die Entscheidung erspart, ob es den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vollstrecken möchte, der gegen Russlands Präsident vorliegt.

Unangenehme Momente wird es dennoch geben, mit Argentiniens rechts-libertärem Staatschef Javier Milei zum Beispiel: Dieser hatte Lula in der Vergangenheit als „korrupten Kommunisten“ bezeichnet und seit dem Amtsantritt des Argentiniers vor etwa einem Jahr sind sich die beiden erfolgreich aus dem Weg gegangen. In Rio wird dies nicht möglich sein, und die Stimmung ist angespannt: Die argentinische Delegation soll versucht haben, die Diskussion über eine Sondersteuer für Superreiche von der Gipfel-Agenda zu streichen – dabei ist diese zusammen mit dem Kampf gegen Armut und Hunger eines der Hauptanliegen von Präsident Lula.

Neben Unstimmigkeiten wird dazu vor allem auch Unsicherheit das Treffen dominieren. US-Präsident Joe Biden reist an, allerdings als „lame duck“. So wird in den USA ein Präsident genannt, dessen Tage wegen einer Wahlniederlage gezählt sind und der darum kaum noch Entscheidungsmacht hat. Und auch der deutsche Bundeskanzler kommt in einer geschwächten Position: Wer weiß, was bei den Neuwahlen Anfang nächsten Jahres geschehen wird.

Ob es am Ende des G-20-Treffens brauchbare Ergebnisse gibt, ist mehr als ungewiss. Nur eines ist sicher: das obligatorische Gipfelfoto, vielleicht sogar aufgenommen an einem der Strände von Rio de Janeiro, im Hintergrund die bewaldeten Hügel der Stadt oder der Zuckerhut-Felsen. Was für eine Kulisse!



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