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Gaza: Wie stark ist die Hamas noch? – Politik

by Marko Florentino
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Als Emily Damari, Doron Steinbrecher und Romi Gonen am Sonntag in Gaza nach 470 Tagen aus der Geiselhaft der Hamas freigelassen wurden, mussten die drei Frauen auch noch für ein zynisches Spiel der Terrorgruppe herhalten: Sie bekamen „Entlassungsurkunden“ in die Hand gedrückt, dazu eine Art Geschenktüte, mit Fotos ihrer Haft und einer Karte von Palästina. Maskierte Kämpfer der Hamas standen Spalier, als die drei dem Roten Kreuz übergeben wurden, im Hintergrund wehten die grünen Fahnen der Terrorgruppe.

Die Inszenierung sollte deutlich machen: Die Hamas ist noch da, sie ist nicht geschlagen. Zur selben Zeit begannen im Gazastreifen blau uniformierte Polizisten der Hamas zu patrouillieren. Ihre Kämpfer fuhren auf Pick-ups durch die zerstörten Städte. „Sie wollen ihre Macht demonstrieren“, sagt ein Palästinenser aus Rafah am Telefon. „Und sie haben tatsächlich überall die Kontrolle.“ Begeistert sei er nicht davon, aber jemand müsse versuchen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Medien der Hamas veröffentlichen Videos, die Bulldozer zeigen, wie sie Schutt von der Straße räumen, und von Polizisten, die den Verkehr regeln. „Wir arbeiten nach einem Notfallplan“, sagt ein Sprecher der Hamas.

Nach fast 16 Monaten Krieg ist die Hamas zwar militärisch stark geschwächt, sind viele ihrer Kämpfer und Führungsmitglieder nicht mehr am Leben – besiegt ist die Hamas aber nicht. Das ist die Botschaft, die sie selbst verkündet, und das ist wohl auch die Realität. „Obwohl die Regierung von Benjamin Netanjahu gesagt hat, sie werde die Hamas ausrotten, hat die Gruppe nicht nur militärisch überlebt, sondern auch ihre Herrschaft intakt gehalten“, schrieb die israelische Zeitung Yedioth Ahronoth. Und fragt zugleich, wofür dieser Krieg dann genau geführt wurde in dieser brutalen Intensität.

Die Terrorgruppe werde zu ihren aufständischen Wurzeln zurückkehren, sagt ein Experte

Fast 47 000 Menschen wurden nach Angaben der von Hamas dominierten Verwaltung durch israelische Angriffe getötet, mehr als 90 Prozent der Wohnungen sollen nach UN-Angaben zerstört sein. Die israelische Armee will etwa 17 000 Angehörige der Hamas getötet haben, was etwa der Hälfte ihrer geschätzten militärischen Größe entspricht. Das renommierte Zentrum für Daten zu bewaffneten Konflikten und Ereignissen (ACLED) kommt in einer Analyse von Berichten der israelischen Armee auf eine Zahl von etwa 8500 toten Hamas-Kämpfern. Der mittlerweile ehemalige US-Außenminister Antony Blinken sagte vor wenigen Tagen, er gehe davon aus, dass die Hamas ihre Verluste durch neue Rekruten in etwa habe ausgleichen können.

Sie ist durch den Krieg aber wohl nicht mehr die militärische Bedrohung, die sie davor darstellte. Ihre Raketen und größeren Waffen sind zu einem großen Teil zerstört, die Kommandostrukturen und Produktionseinrichtungen zerschlagen. Versuchte die Hamas ihrem militärischen Flügel vor dem Krieg die Struktur einer regulären Armee zu geben, wird sie sich künftig wohl in guerillaähnlichen Zellen organisieren.

Die Hamas sei nicht mehr in der Lage, einen Angriff im Stil des 7. Oktobers zu starten, sagt Michael Milshtein, ein israelischer Experte und ehemaliger Offizier des militärischen Geheimdienstes. Sie werde aber zu ihren aufständischen Wurzeln zurückkehren und zum Beispiel versuchen, nicht explodierte israelische Munition für selbstgebaute Bomben zu verwenden.

Für viele Israelis sind das Waffenstillstandsabkommen und der Austausch der Geiseln ein Erfolg, der aber einen hohen Preis fordert. Die Hamas ist militärisch zwar geschwächt, ihr Terror vom 7. Oktober war letztlich der Auslöser, dass die gesamte Achse des Widerstandes aus Hamas, Hisbollah in Libanon und dem Assad-Regime in Syrien zusammenbrach – die Hamas ist aber in Gaza weiter die stärkste Kraft. Bei vielen Palästinensern ist sie verhasst, aber eine Alternative ist nirgends in Sicht. Die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde ist korrupt und inkompetent, Netanjahu hat stets ausgeschlossen, dass sie nach Gaza zurückkommen könnte. Eine alternative Idee für eine Verwaltung des Küstenstreifens hat er nie präsentiert.

Der ist nun größtenteils zerstört, ein Plan zum Wiederaufbau existiert nicht. Potenzielle Geberländer haben deutlich gemacht, dass sie nur helfen wollen, wenn die Hamas nicht mehr in Gaza regiert. Auch die Terrorgruppe selbst weiß, dass ihre Zukunft und ihre Unterstützung durch die Bevölkerung in Gaza davon abhängen, wie schnell es gelingt, Häuser und Infrastruktur wiederaufzubauen. Ihre verbliebene Führung hat deshalb angekündigt, nicht allein die Macht übernehmen zu müssen, was die Bereitschaft der Golfstaaten erhöhen soll, in Gaza zu investieren. Die könnte sich aber dennoch in Grenzen halten, da die Hamas ihre Waffen nicht abgeben will.

Der Gazastreifen konkurriert zudem mit Libanon und Syrien, die auch auf internationale Hilfe angewiesen sind, noch viel größere Beträge brauchen. Länder wie Saudi-Arabien und die Emirate könnten ihr Geld dort besser angelegt sehen als in Gaza. In Syrien wollen die Islamisten sich künftig neutral verhalten zu Israel. In Libanon könnte die Hisbollah entwaffnet und zu einer normalen Partei werden. In Gaza feiern die Hamas-Kämpfer ihren „Sieg“ gegen Israel. Den Preis zahlte die Zivilbevölkerung. Die nächsten Monate werden zeigen, wie sie über die Hamas denkt.



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