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Niedersachsens Ministerpräsident hat einen hohen Anspruch an seine engsten Mitarbeiter, daran lässt Stephan Weil (SPD) keinen Zweifel. Wer ein Büro leiten will, der müsse „Belastbarkeit, ein ausgeprägtes politisches Gespür und angemessene Ausdrucksformen“ mitbringen. „Es kann ohne Weiteres passieren, dass man am späten Abend einen Auftrag bekommt und bis zum Morgen eine Lösung finden soll.“ Mehr noch: Man müsse sich „in den Kopf des Chefs hineinversetzen“ können.
Genau das wollen auch die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, vor den Weil am Donnerstag als prominentester Zuge geladen ist. Seit zwei Monaten beschäftigt die sogenannte Gehaltsaffäre die Landespolitik. Es geht um die Frage, ob der Ministerpräsident seiner Büroleiterin zu viel Gehalt zahlt, sie womöglich bevorzugt hat.
Die Frau ist seit Februar 2023 Büroleiterin, die fünfte inzwischen. Zunächst war sie mit einem monatlichen Grundgehalt von 6301 Euro in Entgeltgruppe E 15 eingestuft worden. Dank einer Regeländerung des Finanzministeriums wird sie nun rückwirkend nach Besoldungsstufe B 2 bezahlt. Das sind 8187 Euro, ein Gehaltssprung von 1886 Euro. Verbeamtet ist die Büroleiterin nicht.
Das Vorgehen sei rechtswidrig gewesen, sagt der Gutachter der Opposition
Die CDU wirft Weil vor, die langjährige Praxis der Bezahlung in der Staatskanzlei eigens für eine Wunschkandidatin geändert zu haben, und zwar „mit der Brechstange“. Seitdem beschäftigt der Fall knapp 40 Politikerinnen und Politiker, Anwälte, Gutachter und Mitarbeitende. Im Untersuchungsausschuss sind unter anderem Finanzminister Gerald Heere (Grüne), der Chef der Staatskanzlei, Jörg Mielke, und die Regierungssprecherin Anke Pörksen befragt worden. Ein von der CDU beauftragter Verwaltungsrechtler hat das Hochstufen der Büroleiterin als rechtswidrig bewertet. Die Staatskanzlei hat ihrerseits einen Anwalt mit der Prüfung des Gutachtens beauftragt, der daran eine „fehlerhafte Rechtsauffassung“ bemängelt: Der Masterabschluss der Büroleiterin rechtfertige sehr wohl ihre Eingruppierung. Zu alledem ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Anfangsverdachts der Untreue, vorerst gegen unbekannt.
Weils Büroleiterin hat ihren Abschluss in Steuerrecht auf dem zweiten Bildungsweg erlangt. Die SPD-Nachwuchspolitikerin aus dem Wahlkreis des SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil war Ortsbürgermeisterin des Ortes Buchholz an der Aller, persönliche Referentin des Hamburger SPD-Finanzsenators Andreas Dressel und für den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss tätig.
Er habe die heute 33-Jährige auf Terminen im Heidekreis kennengelernt, sagt Weil, sei schnell von ihrer Eignung überzeugt gewesen. Eine Empfehlung von Dritten habe es nicht gegeben, Gespräche mit anderen Kandidaten auch nicht. Die Büroleitung sei eine „besondere Vertrauensstellung“ und setze eine persönliche Entscheidung des Ministerpräsidenten voraus.
Er habe nur ein strukturelles Problem lösen wollen, sagt der Ministerpräsident
Im Zuge der Stellenbesetzung sei er vom Leiter der Rechtsabteilung darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine „stellengerechte Bezahlung“ erst nach bis zu zehn Jahren möglich sei. Eine kaum tragbare Wartezeit, so der Ministerpräsident, zumal ein fordernder Job wie eine Büroleitung oft gar nicht so lange ausgeübt werde. Vor allem junge Mitarbeiterinnen hätten in der Regel den Wunsch, sich noch einmal beruflich zu verändern.
Es sei ihm nie um den Einzelfall gegangen, vielmehr habe er „ein strukturelles Problem“ angehen wollen, sagt Weil. Eine von ihm angestoßene Länderumfrage des Finanzministeriums habe ergeben, dass in Niedersachsen die strengsten Vorgaben für außertarifliche Bezahlungen herrschen, im Bund und in anderen Ländern würden derartige Fälle flexibler gehandhabt. „Das Beamtenrecht muss aber auch atypische Bildungswege würdigen, der öffentliche Dienst konkurriert mit der freien Wirtschaft“, sagt Weil. Eine stellengerechte Bezahlung sei wichtig, um „in einem verknappten Markt“ geeignetes Personal zu finden und „die Anpassung des Landesdienstes an den demografischen Wandel“ zu gewährleisten. „Vielleicht ist durch mein Vorgehen nicht deutlich genug geworden, dass es nicht um den Einzelfall ging“, räumt Weil ein. „Das muss ich mit nach Hause nehmen.“
Die Befragung dauert Stunden, eine Tüte Gummibärchen wird herumgereicht
Die Opposition überzeugt das nicht. Ob ihm nicht klar gewesen sei, dass jemand nur wenige Wochen nach dem Masterabschluss noch keine Spitzenvergütung erhalten könne, fragt die Christdemokratin Carina Hermann. Was denn vorangegangene Büroleiter verdient hätten, will sie wissen. „Die Bewerberin hat langjährige Erfahrung im Berufsleben und aus der vorangegangenen Tätigkeit“, entgegnet Weil. Wenn Büroleiter in der Vergangenheit weniger verdient hätten, dann weil beispielsweise ein wissenschaftlicher Abschluss gefehlt habe.
Die Vernehmung des Zeugen dauert Stunden, eine Tüte Gummibärchen wird herumgereicht. Weil wirkt gut vorbereitet, beantwortet Fragen geduldig, auch wenn sie sich wiederholen. In einem ersten Resümee bezeichnet Carina Hermann die Aussagen des Regierungschefs als „Märchen“. Die heutige Büroleiterin sei eben keine klassische Quereinsteigerin, das Argument der demografiefesten Verwaltung nur vorgeschoben. Die Sozialdemokraten beklagen ein „Oppositionstheater“. Man entferne sich immer weiter vom Untersuchungsgegenstand. „Der einzige Skandal ist, dass die CDU einen Skandal herbeireden will“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Wiard Siebels. Es sei doch offensichtlich, dass der Ausschuss am Ende angelangt sei.
Der Ministerpräsident selbst bezeichnet das beanstandete Arbeitsverhältnis trotz allem als wunderbar. „Der gute Eindruck hat sich in der täglichen Zusammenarbeit bestätigt.“