Ist das jetzt dieser kleine Anfang, der am Ende alles verändern wird? Ein Provinzort namens Tetritskaro, übersetzt weiße Quelle, der zum Ursprung für einen Machtwechsel in Georgien wird und das Land wieder Richtung Europäische Union führt? Die Opposition hofft darauf.
Tetritskaro liegt etwa 50 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tiflis. Am Montag entschied dort ein Richter des Verwaltungsgebiets, dass bei der Parlamentswahl am 26. Oktober das Wahlgeheimnis verletzt wurde. So dünn seien die Wahlzettel gewesen, die mit der Rückseite nach oben in einen Scanner gelegt wurden, dass man von außen gut die Tinte habe sehen können, und damit, für wen die wählende Person abgestimmt hat. Die Ergebnisse aus 30 Bezirken von Tetritskaro werden nun annulliert. Es ist der erste Erfolg für den georgischen „Verband junger Anwälte“, der mehrere Beschwerden wegen Verstößen bei der Parlamentswahl eingereicht hat.
Tausende Georgier vor dem Parlament – und Greta Thunberg
Tina Bokutschawa, Oppositionsführerin der Vereinten Nationalen Bewegung, sprach von der „bedeutenden Entscheidung“ eines Richters, der „Mut, Professionalität und Demut vor dem Gesetz“ gezeigt habe. Dann änderte sie spontan den Protestplan für diesen Dienstag: Ein „Widerstandsmarsch“ am Sportpalast in Tiflis wurde gestrichen, stattdessen sollten sich die Menschen am Berufungsgericht treffen. Der Machtkampf in dem Kaukasusstaat geht also weiter. Am Montagabend hat die aus vier Bündnissen bestehende Opposition auch mitgeteilt, wie er weitergehen soll.
Vor dem Parlament standen wieder tausende Georgierinnen und Georgier, um gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Plus Greta Thunberg. Die schwedische Aktivistin kam mit bunter Strickmütze, um an der Seite der Oppositionsanhänger „den Kampf für Frieden und Freiheit“ zu unterstützen.
Jeden Tag, so kündigte die Opposition an, solle es jetzt irgendwo einen Protest geben, mal kleiner, mal groß. Lascha Bakradse, der sich im Sommer der Oppositionspartei Vereinigte Nationale Bewegung angeschlossen hat, erinnerte in seiner Rede sogar an die Montagsdemonstrationen in der DDR, die am Ende zum Fall der Mauer geführt haben. „Seid ihr bereit für Montage?“, rief er.
Die Regierungspartei Georgischer Traum hat nach Angaben der Zentralen Wahlkommission bei der Wahl vor anderthalb Wochen 54 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Oppositionsparteien sowie Präsidentin Salome Surabischwili erkennen das Ergebnis jedoch nicht an. Georgische NGOs wie „My Vote“ und vor allem Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben von Wahlrechtsverstößen berichtet: Stimmenkauf, bündelweise in Wahlboxen gestopfte Wahlzettel, Einschüchterung.
Die Regierungspartei bekam angeblich viel mehr Stimmen als vorhergesagt
Eine schwierige Frage lautet: Hätte die seit 2012 amtierende Regierungspartei, die einen Kurs Richtung EU-Beitritt beteuert, sich aber dem Krieg führenden Russland annähert, auch ohne Verstöße mehr Stimmen gewonnen als die Oppositionsbündnisse zusammen? Die meisten Umfrageinstitute hatten der Partei Georgischer Traum etwa 35 Prozent aller Stimmen vorhergesagt.
Besonders erstaunt reagierte das Institut Edison Research, das seit 2012 in Georgien bei Parlaments-, Präsidentschafts- und Regionalwahlen Nachwahlbefragungen durchführt. Bisher hätten diese immer um ein bis fünf Prozentpunkte vom späteren Wahlergebnis abgewichen. Diesmal waren es 13 Prozentpunkte Unterschied; die Regierungspartei hatte bei der Nachwahlbefragung 41 Prozent erreicht, weniger als die gesamte Opposition. „Mit einer normalen Variation kann das nicht erklärt werden“, sagte Vizepräsident Rob Farbman. Er vermutet Manipulationen vor allem in den Regionen, wo staatliche Behörden Druck auf Wähler ausgeübt haben.
Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili wies jegliche Manipulationsvorwürfe zurück. Er sprach von „Falschinformation“, „Hysterie“, von einer „xenophobischen Kampagne“, in die Präsidentin Surabischwili, NGOs sowie die Opposition verwickelt seien.
Die neu gewählten Abgeordneten der Opposition wollen ihre Mandate jedenfalls nicht antreten. „Sie werden hier allein sitzen wie Aussätzige“, sagte Mamuka Chasaradse vom Bündnis „Starkes Georgien“ über die Abgeordneten der Regierungspartei. Die Stimmung in Georgien ist unversöhnlich, ein Kompromiss nicht annähernd in Sicht.
Ministerpräsident Irakli Kobachidse versucht trotzdem Normalität zu verbreiten. Er versicherte, dass Georgien selbstverständlich die Integration nach Europa vorantreibe. Dies sei ja auch in der Verfassung festgeschrieben. Allerdings hat Brüssel im Sommer den Status Georgiens als EU-Beitrittskandidat ausgesetzt, als Antwort auf den autoritären Regierungskurs.
Georgiens Opposition will nun mit einem dreiteiligen Aktionsplan eine Neuwahl erreichen. Sie will die Bürger präzise über Fälle von Betrug, Täuschung und andere Machenschaften bei der Abstimmung informieren. Zweitens will sie sicherstellen, dass „die internationalen Partner“ das Wahlergebnis nicht anerkennen. Drittens will sie ihren „demokratischen Widerstand“ mit täglichen Aktionen und Straßenprotesten fortsetzen. Eine riskante Strategie, denn für einen Erfolg müssten dauerhaft viele Menschen mitmachen. Und das vor dem kalten Winter.