Noch ist nicht ganz klar, wie die Schülerinnen und Schüler am Gymnasium Tiergarten in Berlin ihre Abiturzeugnisse bekommen werden. Klar ist nur, dass es an diesem Mittwoch nicht sonderlich feierlich zugehen wird. Die Aula ist für die rund 120 Schüler des Jahrgangs zu klein, bleibt eigentlich nur der Pausenhof als Übergabeplatz.
Dort steht tags zuvor noch ein Wäschewagen mit angebrannten Putzlumpen darin, über dem Fenster des Serverraums im Erdgeschoss ist die Wand leicht verkohlt. „Studenten haben das recht auf Protest“ wurde orthografisch nicht ganz korrekt an die Wand des Schulgebäudes daneben gesprüht. „Brennt Gaza, brennt Berlin“ hieß es auf der Frontseite des Gebäudes. Damit hat der Krieg im Gazastreifen nicht nur den Bezirk Neukölln und die Berliner Universitäten erreicht, sondern auch dieses Gymnasium im Ortsteil Tiergarten mitten in der Stadt.
Der Staatsschutz ermittelt wegen „Sachbeschädigung mit politischem Hintergrund“
Seitdem in der Nacht zum Sonntag bislang unbekannte Täter den Serverraum in Brand gesetzt hatten, ist die Schule geschlossen. Die Fahrradständer sind verwaist, Telefon und E-Mail funktionieren nicht, die Webseite unter der Rubrik „Kontakt und Anfahrt“ lässt sich derzeit nicht aufrufen. So, als sollte die Schule unsichtbar gemacht werden. „Den Schüler:innen werden wichtige Informationen über die Schul.Cloud mitgeteilt“, steht auf der Hauptwebseite.
Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand, aber der Schaden ist erheblich, rund eine halbe Million Euro, so schätzt die Schule. Der Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin ermittelt wegen „schwerer Brandstiftung“ und „Sachbeschädigung mit politischem Hintergrund“. Es ist das zweite Mal, dass die rund 1000 Schüler an dem Gymnasium in die weltweiten Demonstrationen nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und der militärischen Reaktion Israels hineingezogen werden.
Ende Juni hatte die Schulleitung bereits die traditionelle Abiturfeier im Berliner Delphi-Palast abgesagt. „Ein beträchtlicher Teil des diesjährigen Abiturjahrgangs hatte den Plan, seinem Protest gegen die Situation der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen ‚standhaft‘ und ohne vorherige Absprache mit der Schule Ausdruck zu verleihen“, heißt es in einem offenen Brief der Schulleitung. Rund 50 Schüler des Jahrgangs seien daran beteiligt gewesen.
Gefeiert wurde Anfang Juli trotzdem, aber nur nacheinander in kleinen Gruppen in der Aula und unter Schutz einer Securityfirma. Tags darauf fand vor dem Schulgelände eine friedliche Demonstration gegen die Angriffe der israelischen Armee im Gazastreifen statt. Rund 100 Menschen waren gekommen, darunter auch ein Dutzend Schüler des Gymnasiums.
Dass trotz der angespannten Lage eine Abiturfeier stattfinden konnte, war der Senatsverwaltung für Bildung und dem Bezirk Mitte, in dem die Schule liegt, als Symbol wichtig. „Damit die Schülerinnen und Schüler sehen, dass wir als Stadt dagegen halten“, sagt Bezirksstadtrat Benjamin Fritz (CDU). Die Proteste beträfen ja auch viele Schüler, die damit nichts zu tun hätten. „Wir haben das vernünftig hinbekommen“, meint Fritz. Doch der Brandanschlag vom vergangenen Wochenende sei „jetzt die nächste Eskalationsstufe“.
Lehrer in Berlin bekommen Fortbildungen zum Umgang mit dem Konflikt
Der Slogan „Brennt Gaza, brennt Berlin“ ist in den vergangenen Wochen schon mehrfach in der Stadt aufgetaucht. Anfang Mai wurde er nach einem kleineren Brandanschlag an der Fassade des Rathauses Tiergarten entdeckt; einen Monat später schrieben ihn bisher unbekannte Täter an eine Außenwand der Parteizentrale der SPD in Kreuzberg. Und am vergangenen Samstag, unmittelbar vor der Attacke am Gymnasium Tiergarten, war es in einem angrenzenden Bezirk bei einer propalästinensischen Demonstration zu Krawallen gekommen. Ob es einen Zusammenhang mit dem Brand in der Schule gibt, wird derzeit ermittelt.
Abgesehen von einigen Parolen und wenigen kleineren Auseinandersetzungen, waren Berlins Schulen bislang kaum von den Protesten zum Krieg in Gaza betroffen. Nachdem es direkt nach dem 7. Oktober an einem Neuköllner Gymnasium zu Handgreiflichkeiten zwischen einem Lehrer und einem Schüler gekommen war, hatte die Schulverwaltung den Schulen eine ganze Liste möglicher Verbote an die Hand gegeben. Sollte der Schulfrieden gestört sein, darf seitdem etwa das Tragen von Palästinensertüchern untersagt werden. Außerdem organisiert die Bildungsverwaltung für Lehrer Beratungen und Weiterbildungen, um dem Konflikt auf den Schulhöfen besser begegnen zu können.
Unklar ist, ob die Täter des Brandanschlags überhaupt von der Schule stammen. In der Berliner Senatsverwaltung heißt es, das Konfliktpotenzial könne auch mit der Schülerschaft des Abiturjahrgangs zu tun haben. Das Gymnasium hat einen vergleichsweise hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund aus arabischen Ländern. Mit Demokratieförderprojekten und interreligiösen Angeboten soll jetzt jedenfalls verhindert werden, „dass sich dieser Konflikt verstetigt“, sagt Bezirksstadtrat Benjamin Fritz.