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Und nun sitzt er, zugeschaltet aus Washington, wo er bei der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds weilt, im „heute-journal“ des ZDF. „Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt“, sagt er in Richtung seines Kabinettskollegen Robert Habeck von den Grünen. Es brauche jetzt eine andere Wirtschaftspolitik, weniger Steuerlast, weniger Bürokratie, weniger Ideologie. Wenn Habeck nun wieder nach schuldenfinanzierten Subventionen rufe, der Wirtschaftsminister spricht von Innovationsprämien, dann sei das „konzeptionelle Hilflosigkeit“. Und auch, dass der Kanzler nun für Dienstag die Industrie und Gewerkschaftsvertreter zum Gipfel eingeladen hat, ihnen großzügige Hilfe in Aussicht stellen könnte, findet nicht Lindners Zustimmung. „Nein, die Vorschläge von Herrn Scholz waren nicht abgestimmt und die von Herrn Habeck auch nicht.“
Deutschlands Wirtschaft ist in der Krise und nun prallen die unterschiedlichen Lösungskonzepte von FDP auf der einen, SPD und Grünen auf der anderen Seite voll aufeinander. Lindner will woanders sparen, er hat zum Beispiel die Wohnkosten für Bürgergeldempfänger und geflüchtete Ukrainer im Blick; durch Pauschalen und notfalls Umzüge in andere Wohnungen. Um Spielräume für Entlastungen der Unternehmen zu schaffen – und er will sie vor allem von immer mehr Bürokratielasten befreien; auch der Kanzler rückt zum Beispiel gerade ab vom Lieferkettengesetz. SPD und Grüne würden dagegen gerne die Schuldenbremse lockern, um mit mehr Investitionen entgegenzusteuern.
Lindner lädt zur Gegenveranstaltung
Lindner meint mit Blick auf die gar nicht mehr kaschierten großen Differenzen: „Das ist für sich genommen ein Problem, das will ich ihnen sehr klar sagen. Dadurch entsteht nämlich Unsicherheit.“ Er sei der Überzeugung, dass 50 Prozent der Probleme in der Wirtschaftspolitik, angefangen bei der Zurückhaltung der Investoren, „mit politisch gemachter Unsicherheit zusammenhängt.“ Schöne Grüße an Robert Habeck, der ja betont hat, unter ihm als Kanzler würde es niemals einen Finanzminister Lindner geben. Der stellt ein verkapptes Ultimatum. „Diesen Herbst muss Klarheit geschaffen werden, welche Richtung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik geht dieses Land.“ Wenn man nicht weiter komme, bei dem, was das Land jetzt brauche, „dann müssen sich alle die Karte legen.“
Er hat im Übrigen zum Industriegipfel des Kanzlers mit Fraktionschef Christian Dürr nun parallel zu einer Art Gegenveranstaltung am Dienstag eingeladen. Und zwar die Spitzenverbände der Wirtschaft, die beim Kanzler nicht dabei sind – Arbeitgeberverband, die Deutsche Industrie- und Handelskammer, das Handwerk und die Familienunternehmer. In der FDP ist man genervt, dass der Industriegipfel nicht abgesprochen war und vor allem die eingeladen seien, die ständig neue Subventionen verlangten. In der SPD-Fraktion meinen Sie, da könne Lindner mal sehen, wie toll die Wirtschaftsverbände seine Sparpläne in Zeiten einer Rezession finden.
Scholz: Aufhören mit dem Theater
Der Kanzler weilt derzeit mit seinem halben Kabinett –aber ohne Lindner zu Regierungskonsultationen in Indien, einem Land, in dem die Wirtschaft vergangenes Jahr um 7,8 Prozent gewachsen ist, für das laufende Jahr werden 6,8 Prozent Wachstum erwartet. Der Kanzler nimmt dazu in Neu-Delhi so Stellung zur Kakophonie in seiner Koalition: „Wir müssen wegkommen von dem Theater.“ Es müsse nun um ein großes Miteinander gehen. Es gehe doch nicht darum, „irgendwie sich vorzuführen, sondern einen gemeinsamen Konsens zu entwickeln.»
Lindner wiederum weist in Washington die Darstellung zurück, sein für Dienstagvormittag geplantes Treffen mit Wirtschaftsverbänden sei ein „Gegengipfel“ zum Gespräch des Kanzlers mit der Industrie, das nur wenige Stunden später stattfinden soll. Er, Lindner, sei zu dem Treffen im Kanzleramt nicht eingeladen, er betrachte beide Veranstaltungen deshalb nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung. „Was spricht dagegen, wenn eine regierungstragende Fraktion sich mit anderen Teilen der deutschen Wirtschaft trifft“.
Es sei richtig, mit der Industrie zu sprechen. Es sei aber auch richtig, wenn auf der anderen Seite gesprochen werde mit dem Mittelstand, der ja für Millionen Arbeitsplätze in Deutschland die Verantwortung trägt und andere Bedürfnisse habe als die ganz großen Unternehmen. Lindner hat zudem Habecks Vorschlag, alle Unternehmensinvestitionen fünf Jahre lang mit zehn Prozent der Summe zu bezuschussen, um so das Wachstum anzukurbeln, durchrechnen lassen. Lindner zufolge würde das Vorhaben nach einer ersten Berechnung jedes Jahr 48 Milliarden Euro kosten und die Staatsverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung um einen Prozentpunkt erhöhen. Das wäre nicht nur ein Verstoß gegen die europäischen Fiskalregeln, sondern auch gegen das EU-Beihilferecht, so der Finanzminister. Das Fazit laute deshalb: „Ökonomisch fragwürdig, europarechtlich nicht umsetzbar“.
Aber in Sachen Haushalt müssen alle jetzt irgendwie zueinander finden. Und auf der Arbeitsebene sind die drei Chef-Haushälter der Ampel, Dennis Rohde (SPD), Sven Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) ein Beispiel wie es auch anders gehen kann, sie haben schon manches Problem gelöst, arbeiten vertrauensvoll zusammen. „Haushalte sind kein simples Zahlenwerk, sondern werden im Ringen miteinander um die besten Lösungen für die Menschen in diesem Land gemacht“, betont Rohde. Dafür erwarte man nun „keine singulären Ideen, sondern nur in den Regierungsspitzen geeinte Vorschläge der Bundesregierung dazu, wie die noch bestehenden Lücken geschlossen werden können.“
Der Arbeitskreis Steuerschätzung hat errechnet, dass Bund, Länder und Kommunen 2025 mit Steuereinnahmen von 982,4 Milliarden Euro rechnen können. 12,7 Milliarden weniger als noch im Mai prognostiziert. Wobei der Bund noch am besten dasteht, da er 7,7 Milliarden Euro weniger an die EU abführen muss als gedacht – und somit sogar auf ein kleines Plus von 700 Millionen hoffen kann.
Scholz will einen Industriegipfel – aber was kann er bieten?
Klar ist aber: Die Lücke im Haushalt wird, anders als erhofft, nicht wirklich kleiner, sie beträgt noch etwa 13,5 Milliarden Euro. Lindner will zum Beispiel gerne die sieben Milliarden Euro verwenden, die eigentlich als Subventionen an den US-Chipkonzern Intel fließen sollten. Weil Intel den geplanten Bau eines Werks bei Magdeburg verschoben hat, sind sie nun verfügbar. Allerdings drohen zugleich deutliche Mehrausgaben, etwa beim Bürgergeld, weil wegen der Wirtschaftsflaute weniger Menschen als erhofft in Arbeit vermittelt werden könnten. Hinzu kommen Mehrkosten für die Förderung erneuerbare Energien. „Wir werden zusätzlich konsolidieren müssen. Nicht jede staatliche Leistung wird noch möglich sein.“
Die Antwort der SPD lautet hingegen: mehr Schulden. Denn angesichts der lahmenden Wirtschaft und der Krise der Industrie will die Kanzlerpartei die Rettung von Arbeitsplätzen und mehr Investitionen in den Fokus stellen. Scholz hat hierzu eben jenen Industriegipfel angekündigt, aber was hat er angesichts der Kassenlage zu bieten? In eine ähnliche Richtung gehen auch die Grünen. Deren Wirtschaftsminister Robert Habeck schlägt einen staatlichen Milliarden-Fonds vor; mit hohen Investitionsprämien für Unternehmen und Investitionen in Energie- und Kommunikationsnetze, Verkehrswege und Bildungseinrichtungen.
Es ist auch für Haushälter kaum erinnerlich, dass sie so eine unfertige Vorlage bekommen haben und jetzt in wenigen Wochen so hohe Milliardenbeträge eingespart werden müssen – wenn man sich nicht doch auf ein Aussetzen der Schuldenbremse einigt. In der SPD wächst die Sehnsucht nach mehr Führung – und einem Machtwort des Kanzlers, statt neuer Verhandlungen mit dem Rechenschieber.
Ein Bruch samt Neuwahlen gilt durchaus als möglich
Zum Fixdatum wird der 14. November, dann ist die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags, dann muss der Haushalt eigentlich final stehen. Ein Bruch wird intern nicht mehr ausgeschlossen, mit Neuwahlen, zum Beispiel am 9. März.
Vor allem in der SPD wächst der Ärger. Lindners Art der Haushaltskonsolidierung sei „ein gravierendes Problem für die deutsche Wirtschaft“, sagte der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich der Süddeutschen Zeitung. „Wir werden alles daransetzen, um Deutschland mit klugen Investitionen wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zu bringen“, betont Mützenich und fordert vom Bundeskanzler: „Olaf Scholz muss diese Fragen weiterhin und noch deutlicher zur Chefsache machen.“
Ohne neue Wachstumsimpulse würden auch die Steuereinnahmen weiter sinken, die wiederum für Investitionen fehlen würden. „Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.“
Ob Lindner wirklich deshalb die Koalition platzen ließe?
Der SPD-Haushälter Andreas Schwarz fordert, was Lindner weiter kategorisch ablehnt: „Wenn nicht jetzt, wann dann ist es Zeit, die Schuldenbremse zu modernisieren?“ In der SPD wird betont, dass der Kanzler sich hier mal gegen Lindner und seine FDP durchsetzen müsse; bei drei Prozent in den Umfragen könne Lindner ja gar nicht deswegen die Koalition platzen lassen.
Ob nun der Kanzler angesichts solcher Wachstumszahlen mit frischen Ideen zurückkehrt, um das Haushaltspuzzle zu vervollständigen, ist die große Frage. Sicher dürfte es nun bald zu einer Wiederauflage eines bekannten Gesprächsformats kommen, um dem Parlament zu helfen: den Runden von Scholz, Habeck und Lindner. Als sie im Juli zufrieden ihren ersten Entwurf präsentierten, hatten sie etwa 80 Stunden verhandelt. Aber wie man heute weiß: gelöst war wenig.