Die wenigen wirklich gebildeten Bayern haben selbstverständlich bairisch geschrieben, jedenfalls im späten Mittelalter und sofern sie nicht gleich auf Latein korrespondiert haben. Sprachhistoriker können zum Beispiel die Kanzleischreiber an den damaligen Fürstenhöfen anhand ihrer Schriftstücke oft eindeutig einer Herkunftsregion zuordnen, und so waren auch südliche Sachbearbeiter im hohen Norden beschäftigt. Aber dann kamen Luther mit seiner Bibelübersetzung und später die deutschen Normierungsbemühungen im 19. Jahrhundert. Seither wird auch in Bayern und von den Bayern nicht mehr nach ihrer Sprache geschrieben, sondern im Gegenteil immer öfter nach der Schrift gesprochen. Die Unesco hat das Bairische deshalb schon 2009 als potenziell gefährdet eingestuft.
Organisationen wie der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte (FBSD) und der Bund Bairische Sprache (BBS) wollen all dem entgegenwirken und wenden sich deswegen an den Landtag – allerdings mit rivalisierenden Konzepten, bei denen unter anderem die Schriftlichkeit des Bairischen eine gewisse Rolle spielt.
Mit dieser Schriftlichkeit ist es jenseits von Mundart-Lyrik und Marketing-Maschen eben nicht mehr weit her, weshalb am Montag sogar der FBSD-Vorsitzende Heinz Schober-Hunklinger eine gewisse Mühe hatte, die Forderungen seines Vereins an die Politik auf Bairisch vom Blatt zu lesen. Aber aus Sicht des FBSD braucht es auch gar keine Schriftform samt verbindlichen Regeln, um aus dem Bairischen eine eigene Regionalsprache zu machen. Als solche ließe es sich für die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen anmelden und zumindest ideell unter den Schutz des Europarats stellen.
Konkret könnte sich daraus eine bessere staatliche Förderung des Bairischen in Verwaltung, Justiz, Bildung, Kultur und Medien ergeben, lautet die Hoffnung des FBSD. Daher solle erst der Landtag die Staatsregierung und diese dann den Bund auffordern, das Bairische für die Charta nachzumelden. Diese umfasst aktuell 81 Sprachen, in Deutschland etwa Romanes als Sprache der Sinti und Roma oder das Nieder- und Plattdeutsche.
Der FBSD erhält für seinen Vorstoß nach eigenen Angaben die Unterstützung einer Reihe von dialektnahen Musikerinnen und Kabarettisten vom Bayerischen Trachtenverband, von etlichen Dialektforschern und von einer Handvoll Landtagsabgeordneten verschiedener Fraktionen. Der Rosenheimer FW-Abgeordnete Josef Lausch kündigte an, das Thema an diesem Dienstag in seine Fraktion zu tragen, die dann einen Dringlichkeitsantrag mit der CSU abstimmen werde. Dies alles sei keinesfalls parteipolitisch motiviert. Es müsse nur irgendwer den Antrag stellen, ehe es womöglich die Falschen täten, also die AfD.
Lausch beteuerte, er habe dafür die Rückendeckung von FW-Chef Hubert Aiwanger und Fraktionschef Florian Streibl, der davon offenbar noch nicht allzu lange weiß. Streibl hatte schon 2015 eine parlamentarische Anfrage mit dem gleichen Ziel gestellt, war aber abgeblitzt. Damals sei man noch in der Opposition gewesen, sagt Lausch. Allerdings hatte die Staatsregierung damals Gutachten bei einem halben Dutzend Sprachwissenschaftlern bestellt, die einhellig davon abrieten, Bairisch als Regionalsprache ins Spiel zu bringen. Eines der Argumente war die fehlende Schriftlichkeit.
Unter anderem diese unterscheide eine Sprache von einem Dialekt, heißt es vom Bund Bairische Sprache. Dessen Protagonisten wie der Vorsitzende Sepp Obermeier und sein Stellvertreter Niklas Hilber waren einst selber Mitglieder im FBSD. Mit diesem sind sie aber längst nicht nur in Definitionsfragen und wissenschaftlichen Details uneins. Auch der Kommunikationsstil, mit dem der FBSD nach eigenen Angaben 12 000 Unterschriften gesammelt hat, sowie dessen Darstellung des Bairischen insgesamt ist nach Ansicht des BBS deutlich zu krachledern und schlimmstenfalls kontraproduktiv.
Selbst hat der BBS zusammen mit dem Landesverein für Heimatpflege schon vor einigen Monaten eine Petition an den Landtag gerichtet. Darin fordern sie einen besseren Schutz „für das vom Aussterben bedrohte altbayerische, fränkische und schwäbische Standarddeutsch nebst den dazugehörenden Dialekten“. Sie zielen dabei auf die spezifisch süddeutsche Form der deutschen Standardsprache, die demnach über die einzelnen Dialekte hinweg über eigene grammatische Strukturen, eine eigene Geschichte als Literatursprache und über einen teils vom nördlichen Deutsch abweichenden Wortschatz verfügt. So heißt es im Süden etwa „Bub“ statt „Junge“, und das eben auch geschrieben. Als wissenschaftlichen Gewährsmann kann sich der BBS auf Ludwig Zehetner berufen, die graue Eminenz der wissenschaftlichen Erforschung des Bairischen.
Das Kraut ausgeschüttet hat dem BBS dagegen Anthony Rowley, der selbst englischer native speaker ist und ebenfalls als einer der besten wissenschaftlichen Kenner des Bairischen gilt. Als einer der genannten Gutachter hatte sich Rowley vor zehn Jahren klar gegen Bairisch als zu schützende Regionalsprache ausgesprochen, nun unterstützt er den Vorstoß des FBSD. Damals seien die Bayern dafür noch nicht bereit gewesen. Inzwischen nehme er aber einen weit verbreiteten Willen war, das Bairische zu schützen, begründet Rowley seinen selbst so bezeichneten „Meinungsumschwung“. Die mangelnde Schriftlichkeit spiele bei all dem keine Rolle, denn das tue sie ja beim Plattdeutschen auch nicht.
Beide Initiativen richten sich zunächst an den Landtag des Freistaats. Zum bairischen Sprachraum zählen allerdings unter anderem weite Teile Österreichs. Dafür wird in Schwaben Schwäbisch-Alemannisch gesprochen und in Franken Fränkisch. Der BBS sieht all das in seinem Süddeutschen aufgehoben, der FBSD arbeitet laut Rowley an einem Dachverband der entsprechenden Dialektvereine.