Am Ende kam Beppe Grillo nicht. Der Gründer der Fünf Sterne, die vor gerade mal einem Jahrzehnt am politischen Himmel Italiens hell aufschienen, hatte im toskanischen Badeort Marina di Bibbona, auf halber Strecke zwischen seiner Heimatstadt Genua und der Hauptstadt Rom, abgewartet, wie der sogenannte verfassungsgebende Kongress seiner Partei sich entwickeln würde. Als klar war, dass seine Ära im Movimento 5 Stelle (M5S) vorbei sein würde, orientierte sich der ehemalige Fernsehkomiker und Kabarettist wieder nach Norden, Richtung Heimat.
In Rom brachte derweil sein Nachfolger Giuseppe Conte die Reformbeschlüsse durch, auf die er seit Wochen hingearbeitet hatte – und die Grillo mit Wut im Bauch und voller Verachtung bekämpfte. Darunter ist vor allem die Abschaffung des sogenannten Garanten der Partei, ein von Grillo für sich selbst geschaffener Posten, der mit 300 000 Euro Jahresgehalt dotiert war und mit dem er sicherstellen wollte, dass die Gründungswerte der Partei nicht in Gefahr gerieten.
Conte und Grillo, mehr Gegensatz geht kaum
Im Zweikampf der beiden Politiker ging es um Person und Sache, bei der Fünf-Sterne-Bewegung war das immer schwer zu trennen. Der populäre Kulturarbeiter Grillo hatte 2009 die Umwelt- und Protestbewegung M5S aus seinen „V-Days“ (von Vaffanculo!, auf Deutsch etwa: Leck mich!) heraus gegründet – als im Kern linke und anarchistische Bewegung mit flachen Hierarchien und ohne die üblichen Zwänge solcher Organisationen. Vor allem war sie ganz auf Grillo zugeschnitten, der sie 2018 bei den Parlamentswahlen mit 32,7 Prozent zur stärksten politischen Kraft machte.
Unkonventionell wie sie waren, gingen die Linkspopulisten ausgerechnet mit den Rechtspopulisten von Matteo Salvinis Lega eine Koalition ein. Dafür suchte man einen neutralen Regierungschef und fand ihn in dem politisch kaum bekannten Juraprofessor Giuseppe Conte, der zu diesem Zeitpunkt weder Parteimitglied noch Parlamentsabgeordneter war.
Beide Männer konnte man sich kaum in einem Raum vorstellen: Der Anzugträger Conte, 60 Jahre alt, tritt ruhig, höflich und diplomatisch auf, der 70-jährige Künstler Grillo laut, krawallig und provokativ. Der Newcomer Conte fand Gefallen am Job und profilierte sich schnell. Als die außergewöhnliche Koalition nur ein Jahr später zerbrach, tauschte Conte die Zusammenarbeit mit der Lega gegen ein neues Bündnis mit den Sozialdemokraten und konnte sich noch bis 2021 an der Macht halten: Aus europakritisch wurde europafreundlich, aus populistisch wurde staatstragend, so schnell geht das manchmal in Italien.
Wagenknecht und Conte teilen viele Grundüberzeugungen
Als Conte dann aus der Opposition heraus die Führung der Fünf Sterne übernahm, wandelte er die einstige Anti-Establishment-Protestbewegung Schritt für Schritt zu einer traditionellen linksgerichteten Kraft. Allerdings verlor sie dabei mehr und mehr an Strahlkraft und liegt heute bei etwa elf Prozent Wählerzustimmung – was Grillo in seinem viel geklickten Blog mit beißendem Hohn kommentiert. Contes Selbstbewusstsein tut das keinen Abbruch, er will Einfluss nehmen dank der Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften. Folgerichtig lehnte die Versammlung in Rom jetzt auch einen Antrag ab, Allianzen mit anderen Parteien zu verbieten.
Conte zeigt sich oft mit der Oppositionsführerin Elly Schlein, die die doppelt so großen Sozialdemokraten des Partito Democratico führt. Deren Versuche, landesweit ein festes Linksbündnis zu schließen, hat Conte aber bisher blockiert. In Regionalwahlen, bei denen die Linksparteien dagegen gemeinsam agieren, sind sie in der Lage, das von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni straff geführte Rechtslager zu besiegen, wie sie auf Sardinien und zuletzt in Umbrien gezeigt haben. Meistens aber gelingt ihnen das bisher nicht.
In diesem Zusammenhang fiel auf, dass an dem Kongress in Rom Sahra Wagenknecht teilnahm, die Gründerin des BSW. Die Deutsche hielt eine viel beachtete Rede, sie und Conte teilen viele Grundüberzeugungen in Bezug auf Nahost und die Ukraine. Sie fordern verstärkte Anstrengungen, mit Putin zu einer Verständigung zu kommen, und begrüßen den internationalen Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu, ohne Putin-Befürworter oder antisemitisch genannt werden zu wollen.
Allerdings haben die beiden Parteien die Chance verpasst, im Europäischen Parlament zusammenzufinden. Wagenknechts neue, kleine Fraktion hatte sich sehr um die Fünf Sterne bemüht, die dann aber doch dem Zusammenschluss der Linksparteien beitraten, dem auch Wagenknechts frühere Partei Die Linke gehört. Trotzdem wird über eine europaweite linksnationalistische Allianz spekuliert. Wagenknecht lud Conte nach Berlin ein, um über ein „unabhängigeres und progressiveres Europa“ zu diskutieren. Conte versprach zu kommen. Beppe Grillo wird nicht mehr mit von der Partie sein.