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Italien: Richter gehen erneut gegen Melonis Migrationspolitik vor – Politik

by Marko Florentino
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Der Antrag aus Bologna könnte Sprengkraft entwickeln: Ein Gericht der italienischen Stadt hat sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt mit der Frage, welche Kriterien ein „sicheres Herkunftsland“ definieren. Für die Migrationspolitik der italienischen Rechtsregierung, aber auch anderer EU-Länder kann es von großer Bedeutung sein, ob und wie sich das Luxemburger Gericht äußern wird.

Denn Flüchtlinge dürfen nach internationalem Recht nur in Länder zurückgeschickt werden, die als sicher für sie gelten, wo ihnen keine Verfolgung droht oder gar Lebensgefahr. In Italien ist das Thema „sichere Länder“ seit zwei Wochen ein heißes Politikum. Da entschied ein Gericht in Rom, Bangladesch und Ägypten seien keine sicheren Länder. Die Richter beriefen sich auch auf ein EuGH-Urteil vom 4. Oktober. Im Kern geht es darum, dass ein Land die Kriterien nur erfülle, wenn es für alle und im gesamten Staatsgebiet sicher ist. „Teilweise Sicherheit“ gebe es nicht, stellte das Gericht fest.

In die albanischen Lager dürfen nur volljährige, gesunde Männer aus sicheren Staaten

Damit sind Premierministerin Giorgia Meloni und ihre Regierung fürs Erste gescheitert mit ihrem Prestigevorhaben, Flüchtlinge in Albanien auszulagern. Italien hat dazu in dem Land auf der anderen Seite der Adria mit großem Aufwand zwei Zentren errichtet für bis zu 36 000 Migranten im Jahr, alles unter Rechtsprechung Italiens. Das Modell interessiert andere EU-Länder, auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hielt es für erwägenswert.

Mit sechs Monaten Verspätung öffneten die Zentren in Shëngjin und Gjadër, am 16. Oktober brachte ein italienisches Marineschiff von der rund 1400 Kilometer entfernten Insel Lampedusa erstmals Menschen nach Albanien: 16 in internationalen Gewässern aufgegriffene Bootsflüchtlinge, mutmaßlich irreguläre Migranten. Sie sollten dort ihre beschleunigten Verfahren in den albanischen Zentren abwarten. Dorthin, so legte die Regierung fest, dürfen nur volljährige, gesunde Männer aus sicheren Herkunftsstaaten, also mit wenig Aussicht auf einen Schutzstatus oder Asyl. Weil viele irreguläre Migranten aus Bangladesch und Ägypten kommen, hatte die Regierung beide Staaten auf ihre Liste sicherer Länder gesetzt.

Alle der ohne ihr Wissen nach Albanien verschifften Migranten kamen von dort. Vier mussten gleich am nächsten Tag nach Italien, sie waren minderjährig oder krank. Und am übernächsten Tag entschied das Gericht in Rom: Auch das übrige Dutzend muss nach Italien. Sie in Albanien festzuhalten, sei rechtswidrig, da ihre Heimatstaaten nicht sicher seien.

Die Regierung fiel über die Justiz her, die Richterin brauchte Personenschutz

Meloni, die sich mit dem Albanien-Projekt als Kämpferin gegen irreguläre Migranten und Vorbild in der EU präsentieren will, war außer sich über den römischen Richterspruch. Sie, ihr Vizepremier Matteo Salvini und andere Politiker der Fratelli d’Italia und der Lega fielen verbal über die Richter und die angeblich politisierte, regierungsfeindliche Justiz her. In einer Art, die viele verstörte, handelt es sich doch um Mitglieder der Regierung eines Rechtsstaats. Justizminister Carlo Nordio verstieg sich zu der Aussage, ein Gericht dürfe keine Regierungsentscheidung infrage stellen, die den Volkswillen ausdrücke. Die Rechte heizte den Zorn medial so an, dass die Vorsitzende Richterin in Rom unter Personenschutz gestellt wurde.

Die Reaktion auf den Schritt des Gerichts in Bologna ist etwas maßvoller. Meloni sagte am Mittwochabend im Fernsehen aber doch: Die Argumente des Gerichts in Bologna wirkten mehr wie „ein Propaganda-Flugblatt als ein Gerichtsakt“.

Drei Tage nach dem Urteil in Rom hatte Melonis Kabinett die Zahl sicherer Herkunftsländer von 21 auf 19 reduziert und erhob vor allem die Liste dieser Länder zum Regierungsdekret, was ihr vorläufig Gesetzeskraft verleiht. Ob das gilt, wollen nun die Richter in Bologna vom EuGH erfahren.

Kann ein Land als sicher gelten, wenn Minderheiten verfolgt werden?

Wie zuerst der Corriere della Sera berichtete, beantragten sie am Dienstag, der Europäische Gerichtshof möge feststellen, ob das italienische Gesetzesdekret vom 21. Oktober ausgesetzt werden muss. Sie könnten nicht anders handeln, ist der Standpunkt der Richter in der Emilia-Romagna, das Dekret widerspreche EU-Recht. Sie setzen am selben Punkt an wie ihre Kollegen in Rom.

Mit dem Konzept teilweiser Sicherheit, erläutern die Juristen in Bologna, hätte man paradoxerweise selbst Nazi-Deutschland oder das faschistische Italien als sicher erklären können, da nur Minderheiten verfolgt worden seien, aber nicht alle. Würde ein Land schon als sicher gelten, wenn die Sicherheit für die allgemeine Bevölkerung gegeben ist, könne der Rechtsbegriff auf fast jedes Land angewendet werden, er wäre ohne rechtliche Konsistenz. Der EuGH solle etwa klären, ob Sicherheit auch vorliege, wenn einzelne schwer zu identifizierende Gruppen verfolgt oder gefährdet seien – etwa ethnische und religiöse Minderheiten oder LGBT+-Personen.

Und die Richter unter Vorsitz des als Kenner des EU-Rechts geltenden Marco Gattuso fragen, ob nun Italiens Regeln oder die Europas Vorrang haben. Dass EU-Recht über nationalem steht und nationale Gesetze diesem entsprechen müssen, wissen sie natürlich. Aber sie wollen offenbar, dass in Luxemburg klar gesagt wird, dass sie das jüngste Dekret aus Rom nicht anwenden dürfen. Vertreter von Melonis Regierung finden dagegen, das EuGH-Urteil vom 4. Oktober könne nicht verbindlich sein, weil es auf das Migrationsgeschehen zu schwer anwendbar sei. Und 2026 laufe in der EU das Konzept sicherer Herkunftsländer ja sowieso aus.



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