Nicht Stürme, Überschwemmungen oder Waldbrände sind die größte Gefahr unter den Wetterphänomenen, sondern extreme Temperaturen. Sie sind laut der WHO für 93 Prozent aller wetter- und klimabedingten Todesfälle verantwortlich. Bisher gilt: Kälte ist insgesamt tödlicher als Hitze. Wissenschaftler vermuten, dass auf einen Todesfall aufgrund hoher Temperaturen in Europa zehn kältebedingte Todesfälle kommen. Die steigenden Temperaturen aufgrund der Klimakrise könnten die Zahl der Kältetoten senken. Nur sind das keine guten Nachrichten. Gleichzeitig nämlich werden wahrscheinlich mehr Menschen als bislang an extremer Hitze sterben – und zwar mehr, als Kältetote verhindert werden, wie jetzt ein Forscherteam im Fachblatt Nature Medicine berichtet.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Hauptautor Pierre Masselot von der London School of Hygiene & Tropical Medicine haben für 854 Städte in 30 europäischen Ländern untersucht, wie sich die temperaturbedingten Todesfälle bei voranschreitendem Klimawandel verändern. Sie analysierten anhand von drei Emissions-Szenarien, wie viele vorzeitige Todesfälle es geben würde, unter Berücksichtigung möglicher Anpassungsmaßnahmen an die Erwärmung.
Ihren Berechnungen zufolge könnte der Klimawandel in europäischen Städten bis 2099 im schlimmsten Fall etwa 2,3 Millionen zusätzliche Todesfälle verursachen. Das würde einen Anstieg der Todesfälle bedingt durch Kälte oder Hitze um 50 Prozent bedeuten.
Deutlich geringere Todeszahlen bei weniger Temperaturanstieg
In diesem Worst-Case-Szenario beträgt der Temperaturanstieg deutlich mehr als drei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Dabei würden in den 85 Jahren von 2015 bis 2099 zwischen 300 000 und 4,7 Millionen Menschen mehr an den Folgen von Hitze oder Kälte sterben. Im Mittel ergibt das etwa 2,3 Millionen Tote. Hierbei sind mögliche Anpassungsmaßnahmen wie eine veränderte Stadtplanung mit mehr Grünflächen oder mehr Klimaanlagen noch nicht eingerechnet. Diese würden die Zahl der Toten reduzieren.
In dem von den Forschern entworfenen Szenario mit mittlerem Temperaturanstieg lag der Anstieg der temperaturbedingten Todesfälle ohne Anpassungsmaßnahmen bei rund 636 000. Bei niedrigem Temperaturanstieg bei 617 000. „Wenn wir einen nachhaltigeren Weg einschlagen, können wir Millionen Todesfälle bis zum Ende des Jahrhunderts verhindern“, sagt der Studienautor Masselot in einer Pressemitteilung.
Zur Einordnung dieser Zahlen ist es wichtig zu verstehen, wie die Forschenden temperaturbedingte Todesfälle definieren. Dabei sind nicht Todesursachen wie Erfrierungen oder Hitzschläge maßgeblich, sondern die sogenannte Übersterblichkeit. Sie beschreibt die Abweichung der Sterbezahlen von den Werten an Tagen mit der niedrigsten Sterberate, die bei ungefähr 20 Grad liegt. Das bedeutet, wenn an einem 18 Grad warmen Tag mehr Menschen sterben als an einem mit 20 Grad, wird das als kältebedingte Übersterblichkeit gewertet. Zwar ist die Übersterblichkeit an diesen Tagen gering, da es jedoch viele Tage mit dieser Durchschnittstemperatur gibt, erscheinen die kältebedingten Todesfälle höher.
Städte im Mittelmeerraum leiden besonders
Trotz einiger Unsicherheiten sind die Ergebnisse etwa für die Städte in Südeuropa und auf dem Balkan besonders relevant. Dort werden laut der Studie temperaturbedingte Todesfälle besonders stark ansteigen. Malta, Italien, Rumänien und Bulgarien wären besonders betroffen. Allein in Rom und Neapel könnten bis zum Ende des Jahrhunderts 300 000 Menschen zusätzlich an Hitze sterben. In den meisten Städten auf den britischen Inseln und in Skandinavien hingegen prognostiziert die Studie sinkende Todeszahlen durch extreme Temperaturen. Diese werden vom Anstieg in den Mittelmeerregionen jedoch bei Weitem übertroffen.
„Die Hauptresultate stehen im Einklang mit bisherigen ähnlichen Studien und zeigen, dass im südlichen Europa die hitzebedingte Sterblichkeit überwiegt, während im Norden die kältebedingte Sterblichkeit dominiert“, sagt Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut. Wenn man die gesamte Erdkugel betrachte, dominiere die Zunahme der hitzebedingten Sterblichkeit deutlich. Nur nördliche Länder würden in Bezug auf temperaturbedingte Sterblichkeit vom Klimawandel profitieren. „Damit verstärkt der Klimawandel bestehende globale Ungleichheiten.“
Mit Material vom Science Media Center (SMC)