Es gab Nächte, da starrte das politische Berlin gebannt auf die erleuchteten Fenster im Kanzleramt, darauf, wer mit wem auf den Balkon trat. Drinnen tagte der Koalitionsausschuss, und oft genug ging es nicht nur um wichtige Projekte der Ampelparteien, sondern auch gleich ums Überleben der Koalition. Dabei hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, sich einmal im Monat über «aktuelle politische Fragen» auszutauschen und die «weitere Arbeitsplanung miteinander abzustimmen». Am Mittwochabend kamen die Koalitionäre zu einem solchen regulären Treffen zusammen, und schon vorher waren die Erwartungen gedämpft worden. Mit konkreten Beschlüssen sei nicht zu rechnen, hieß es unisono – aber ganz regulär ging es dann bei Spargel, Obst und Käseplatte doch nicht zu.
Das lag am Schwerpunkt des Abends: Erstmals drehte sich das Gespräch ausführlich um Außenpolitik. Nach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprachen nicht wie üblich die Parteivorsitzenden, sondern Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Sie habe ein düsteres Bild der Lage in der Ukraine gezeichnet und sehr eindringlich vor einem weiteren Vorrücken der Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewarnt, heißt es aus Koalitionskreisen. Auch die wachsenden Sorgen der osteuropäischen Nato-Verbündeten referierte sie demnach. Man dürfe nicht zulassen, dass sich bei autokratischen Herrschern und Despoten festsetze, dass sie mit dem Überfall eines Landes durchkommen könnten.
Mützenich sei «eingefangen» worden, heißt es
Mit Genugtuung nahmen Grüne und Liberale wahr, dass sich nach den Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen über die Unterstützung der Ukraine die Positionen wieder annähern. Der Kanzler habe abschließend Klarheit geschaffen über die Haltung der SPD. Deren Fraktionschef Rolf Mützenich habe seine Formulierung von einem «Einfrieren» des Konflikts nicht wiederholt. Überliefert ist der Satz, er werde «zu Lebzeiten» wohl kein freundschaftliches Verhältnis Deutschlands zu Russland mehr sehen. Mützenichs Tonlage sei eine ganz andere gewesen als zuletzt. «Er wurde eingefangen», heißt es.
Mutmaßlich zum Wohlgefallen von Scholz fiel laut Teilnehmerkreisen auch der Begriff «Taurus» nicht – anders als FDP und Grüne will der Bundeskanzler der Ukraine den Marschflugkörper nicht liefern. Der Streit hatte harte Angriffe zwischen den Koalitionspartnern nach sich gezogen. Einig gewesen seien sich alle Akteure, hieß es, dass man die Unterstützung für die Ukraine noch steigern müsse, auch um negative Folgen für Deutschland und die EU abzuwenden. Etwa eine neue Massenflucht vor russischen Angriffen oder einen neuen wirtschaftlichen Schock.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage, des zweiten wichtigen Themas des Treffens, war man sich in der Problembeschreibung einig: Es brauche mehr Investitionen. Das sieht auch die FDP so. Die heikle Frage, woher diese Investitionen angesichts der schwierigen Haushaltslage kommen sollen, sparten die Koalitionäre lieber aus. Die Stimmung zwischen Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sei angespannt gewesen, hieß es. Noch am Morgen hatten die beiden sich gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) darauf verständigt, die erste Haushaltsrunde leicht zu verschieben: Die Ressorts haben jetzt Zeit bis 2. Mai, ihre Zahlen ans Finanzministerium zu liefern, nicht nur bis 19. April.
Beim Haushalt 2025 gehe es um die Wahrnehmung der Ampel im Land – die Frage, ob sie überhaupt noch etwas hinbekomme. Die Koalition will diese Skepsis nicht befördern. Wie schon beim Thema Ukraine beschworen alle den Ernst der Lage. Auf konkrete Schritte oder zumindest die grobe Richtung der gemeinsamen Politik kam man aber nicht im Detail zu sprechen. Scholz, Habeck und Lindner dürften erst noch diskrete Vorarbeit leisten wollen, bevor die große Runde im Kanzleramt wieder zusammentritt. Dann vielleicht wieder zu einem Austausch, bei dem es um den Bestand der Ampel geht.