Die Ukraine kann sich Hoffnung auf raschen Munitionsnachschub machen. Ein Plan der tschechischen Regierung, in verschiedenen Ländern außerhalb der EU etwa 800 000 Artilleriegranaten einzukaufen, kommt offenbar voran. Neben mehreren kleinen EU-Staaten unterstützen inzwischen auch Deutschland und Frankreich das Vorhaben. Sie müssten einen nennenswerten Anteil der Kosten des Geschäfts von geschätzt 1,5 Milliarden Euro schultern. Berlin hat bereits angekündigt, einen «dreistelligen Millionenbetrag» übernehmen zu wollen.
Durch die tschechische Initiative, die auf eine Idee des ehemaligen Generals und heutigen Präsidenten des Landes, Petr Pavel, zurückgeht, soll der akute Munitionsmangel der ukrainischen Armee zumindest vorübergehend gelindert werden. Die Streitkräfte der Ukraine müssen ihre Artilleriemunition derzeit trotz heftiger russischer Angriffe rationieren – sie können nur etwa 2000 Schuss pro Tag abgeben, während die Russen täglich bis zu 10 000 Granaten abfeuern.
Frankreich verhinderte bisher derartige Einkäufe auf dem Weltmarkt
Da die Produktionskapazitäten in der EU für Artilleriegeschosse weitgehend ausgeschöpft und die Bestände der Europäer so gut wie leer sind, hat die tschechische Regierung außerhalb der Union nach Munition suchen lassen. Pavel zufolge wurden dabei die 800 000 Schuss identifiziert. Dem Vernehmen nach soll es sich um etwa eine halbe Million Granaten vom Nato-Standardkaliber 155 Millimeter sowie um ungefähr 300 000 Schuss vom früheren sowjetischen Kaliber 122 Millimeter handeln.
Das würde bedeuten, dass jede Granate im Durchschnitt um die 1800 Euro kosten soll – ein eher günstiger Preis. Dies könnte darauf hindeuten, dass es sich bei den Geschossen um ältere Bestände aus Afrika, Südkorea oder auch der Türkei handelt. Öffentlich äußert sich die tschechische Regierung zu den Herkunftsländern der Munition nicht.
Frankreichs Beteiligung an diesem Einkauf von Munition bei einem außereuropäischen Lieferanten hatte der Präsident des Landes, Emmanuel Macron, bereits vor einigen Tagen angedeutet. Das hatte in Brüssel die Hoffnung geweckt, dass Paris seinen Widerstand gegen derartige Geschäfte grundsätzlich aufgibt. Denn bisher beharrt Frankreich darauf, dass alle Rüstungsbestellungen, welche die Europäer gemeinsam aufgeben und bezahlen, auch an europäische Produzenten gehen.
«Buy European» heißt es. Gar nicht so einfach
Dieses sogenannte «Buy European»-Prinzip war ein wesentlicher Grund, warum die EU ihre Zusage spektakulär verfehlt hat, der Ukraine binnen eines Jahres eine Million Artilleriegranaten zu liefern: Die europäischen Konzerne konnte die Menge nicht herstellen, einen Einkauf auf dem Weltmarkt aber verhinderte Frankreich.
Momentan sieht es allerdings nicht danach aus, als werde Paris seine Haltung fundamental ändern. Derzeit laufen in Brüssel Verhandlungen über neue Regeln für den EU-Fördertopf, aus dem Waffeneinkäufe für die Ukraine mitbezahlt werden, die sogenannte European Peace Facility (EPF). Und Frankreich besteht offenbar weiter darauf, dass alle Zahlungen aus diesem Budget an eine strikte «Buy European»-Klausel gekoppelt sind.
Die Logik dahinter: Paris will mit europäisch finanzierten Rüstungskäufen die europäische Rüstungsindustrie stärken. Andere Staaten, darunter Deutschland, sind weniger dogmatisch. Sie argumentieren, dass die Ukraine möglichst schnell möglichst viel Militärgerät bekommen müsse; egal woher, Hauptsache, es erreicht die Front. Paris sei mit seiner Forderung, dass die EU nur in Europa hergestelltes Material einkaufen dürfe, weitgehend isoliert, heißt es in Brüssel.
Die Bundesregierung fordert ihrerseits, dass die bilaterale Militärhilfe für die Ukraine auf den Anteil angerechnet wird, den Deutschland gemäß dem EU-Verteilschlüssel an der EPF übernehmen muss. Normalerweise müsste die Bundesrepublik etwa ein Viertel dieses Etats tragen. Das wären etwa 1,2 Milliarden Euro, sofern die geplante Erhöhung dieses Budgets um weitere fünf Milliarden Euro beschlossen wird. Da Berlin zugleich allein für dieses Jahr mehr als sieben Milliarden Euro an direkter Militärhilfe für die Ukraine ausgeben will, soll der deutsche EPF-Anteil sinken. Andere EU-Länder sind davon wenig begeistert. Nach Ansicht von europäischen Diplomaten werden sie der von Berlin gewünschten Verrechnung aber zustimmen.