Wie viele andere Politiker und Politikerinnen auch steht die österreichische Umweltministerin derzeit in Wien im Dauerregen und lässt sich dabei filmen, wie sie Helfern dankt, Menschen, die „gerade schwierige Stunden durchleben“, Mut zuspricht und hofft, dass es gelingt, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Aber während die ÖVP-Landeshauptfrau von Niederösterreich, das am Wochenende zum Katastrophengebiet erklärt worden war, von der „unbändigen Kraft der Natur“ spricht oder ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer klagt, das Hochwasser sei so „schlimm wie noch nie“, will Leonore Gewessler „gleich mal zur Sache kommen“: Das alles sei die Folge der Klimakatastrophe. Und der gelte es in den kommenden Jahren alles Menschenmögliche entgegenzusetzen.
In Österreich sind nicht nur ungekannte Mengen an Regen und ungewöhnlich früher Schneefall in einem September gemessen worden, nicht nur Flüsse über die Ufer getreten, Bahnlinien und Autostraßen gesperrt, ganze Dörfer evakuiert und Häuser geflutet worden. Sondern im ganzen Land wird Ende September auch gewählt – und die Frage, ob die aktuelle Naturkatastrophe nicht auch etwas mit dem Klimawandel zu tun hat und, wenn ja, wie darauf zu reagieren sei, beschäftigt Wahlkämpfer und Wähler gleichermaßen.
Dass Leonore Gewessler, Umweltministerin in einer zu Ende gehenden schwarz-grünen Koalition, die mit großer Sicherheit keine Neuauflage finden wird, demonstrativ feststellt, „die Klimakrise ist hier“, das hat also viele Gründe. Sie sagt das, weil dieses Faktum von anderen Parteien gern ausgeblendet oder heruntergespielt wird. Weil jeder Österreicher derzeit nur vor die Tür treten muss, um sich zu fragen: Ist das, was ich da gerade sehe, wirklich „Klimahysterie“? Und weil die Grünen derzeit in Umfragen bei knapp zehn Prozent stehen. Bei der vergangenen Nationalratswahl waren es noch 14 Prozent. Und in der Ökopartei hat man die Hoffnung, dass das Umweltthema das allgegenwärtige Migrationsthema vor der Wahl überlagern könnte.
Gewessler ist eigentlich eine parteipolitische Seiteneinsteigerin gewesen. Die Grazerin, die just am vergangenen Sonntag, während die Fluten durch Österreich rasten, 47 Jahre alt geworden ist, war in Brüssel bei einer Umweltstiftung tätig gewesen, bevor sie von 2014 bis 2019 Geschäftsführerin von Global 2000, einer österreichischen Umweltschutzorganisation wurde. Als Expertin betreute die Politikwissenschaftlerin eher sperrige Spezialgebiete: Glyphosat, Kohleverstromung, Atomkraft, Handelsverträge. Seit sie für die Grünen 2019 Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Energie, Technologie und Innovation wurde, waren jedoch nicht nur ihre Expertise, sondern – in einer Koalition mit den Konservativen – auch viel Durchsetzungsvermögen gefragt.
Vieles ist nicht gelungen: der Ausstieg aus russischem Gas oder ein Bodenschutzgesetz
Grüne und Konservative – das war keine Wiener Traumpaarung. Und auch wenn die Koalition gern darauf verweist, dass man mit dem Klimaticket, einer für das ganze Land ein Jahr lang geltende Flatrate für alle Verkehrsmittel, etwas Wegweisendes geschaffen habe, so ist vieles andere liegen geblieben oder nicht gelungen: der Ausstieg aus russischem Gas etwa oder ein modernes Klimaschutzgesetz und ein Bodenschutzgesetz.
In einem Punkt allerdings revoltierte Gewessler gegen die ÖVP: Sie stimmte in Brüssel für das EU-Renaturierungsgesetz – was gewaltige Empörung bei ihrem Koalitionspartner auslöste, der mit einer Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) wie auch einer Amtsmissbrauchsanzeige reagierte. Vor wenigen Tagen allerdings wurde bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen die Ministerin eingestellt hat. Weshalb diese gleich mal wieder betonte, dass die Klimakrise sichtbar und spürbar sei für die Menschen. Und da müsse man eben endlich etwas tun.