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Libyen: Überfall auf die Zentralbank – Politik

by Marko Florentino
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Es war wie ein Banküberfall, nur führte der Weg nicht direkt zum Tresor. Die Täter wollen die ganze Bank. Anfang August belagerte eine Gruppe die libysche Zentralbank in Tripolis, die in einem alten Kolonialgebäude mit roten Backsteinen in der Innenstadt untergebracht ist. Dann wurde der IT-Chef der Bank entführt. Und schließlich sagten die Männer Ende August, es gebe nun einen neuen Chef, und brachten gleich ein paar neue Angestellte mit. Als sich manche der alten Mitarbeiter weigerten, weiter ihrer Arbeit nachzugehen, seien sie von bewaffneten Milizen dazu gezwungen worden.

So erzählt es Sadiq al-Kabir, der seit 2011 die Geschäfte der Zentralbank leitete und jetzt aus Angst um sein Leben ins Ausland geflohen ist. Von dort berichtet er, dass auch Kinder von Angestellten entführt worden seien, um Geld oder geheime Codes zu erpressen. Kabir fürchtet, dass ganz Libyen in einen Krieg um die Zentralbank hineingezogen werden könnte.

Auch Trump und Erdoğan hadern mit der Unabhängigkeit ihrer Zentralbanken

Zentralbanken sind für die Geld- und Währungspolitik eines Landes zuständig, ihre Unabhängigkeit ist ein hohes Gut – und oft gefährdet. Donald Trump hat immer wieder versucht, die Fed, das Zentralbank-System der Vereinigten Staaten, zu beeinflussen. In der Türkei entfernte Präsident Recep Tayyip Erdoğan erst kürzlich den Zentralbankchef. So umkämpft wie in Libyen sind die obersten Währungshüter aber selten.

Nach dem Tod von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 stürzte das Land in ein Chaos mit immer neuen Bürgerkriegen, seit 2019 herrscht ein fragiler Frieden. Libyen ist in zwei rivalisierende Regierungen geteilt, eine im Westen in Tripolis, die anderen in Benghazi im Osten. Beide Regierungen sind Zweckbündnisse mehrerer Warlords, die vor allem die Habgier vereint.

Das Geld kommt in Libyen aus den gewaltigen Öleinnahmen, die bisher die Zentralbank in Tripolis verteilte. Sie war die einzige Institution, die das Land einigermaßen zusammenhielt. Womöglich war sie sogar das wahre Machtzentrum, weil sie per Resolution des UN-Sicherheitsrates den Auftrag hatte, die Ölmilliarden zu verteilen. 90 Prozent des Öls werden im Osten gefördert, im Reich des Warlords Chalifa Haftar, der von Ägypten und Russland unterstützt wird. Die Einnahmen mussten aber auch im Westen verteilt werden, wo Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba und seine Clique das Sagen haben.

Libyen ist in Ost wie West eine Kleptokratie

Im Westen waren sie schon länger unzufrieden mit der Zentralbank und deren Chef Kabir, der sich nach ihrem Geschmack zu sehr in ihre Geschäfte einmischte. Weshalb die Clique um Dbeiba ihn nun wohl mit Gewalt ablösen will. Libyen ist in Ost wie West eine Kleptokratie. Zwar gibt es Parlamente und Institutionen, aber letztlich herrschen Warlords und Milizen, die immer wieder unterschiedliche Bündnisse eingehen, um an das Geld der Zentralbank zu kommen. Kabir hatte zuletzt wiederholt kritisiert, dass der Westen unter Premier Dbeiba zu viel Geld verschwende, es in den Taschen der eigenen Familie verschwinden lasse. Dbeiba warf dem Zentralbankchef umgekehrt vor, sein Mandat zu überschreiten. Nun ist der Konflikt endgültig eskaliert und droht das ganze Land zurück ins Chaos zu stürzen.

General Haftar im Osten hat als Vergeltung alle Ölförderungen gestoppt, was den Weltmarktpreis kurzfristig um drei Prozent steigen ließ. Die Einnahmeverluste belaufen sich in etwas mehr als einer Woche auf rund 200 Millionen Dollar. Zudem steht das gesamte Finanzsystem in Libyen vor dem Kollaps. Der Zentralbank gehören auch zwei große Privatbanken, zudem hält sie 27 Milliarden Dollar an Reserven.

Finanzverkehr und Wirtschaft drohen zusammenzubrechen

Ex-Bankchef Kabir und seine Leute haben offenbar wichtige Geheimcodes mitgenommen, ohne die viele Überweisungen der Zentralbank nicht mehr möglich sind. Im Gegenzug hat die Regierung des Westens einigen Zentralbankern die E-Mail-Accounts gesperrt. Geht der Kampf so weiter, werden die Auszahlungen aller staatlichen Gehälter, die Überweisungen zwischen Banken und die Sicherheiten für Importe unmöglich. Das würde die Wirtschaft und den internationalen Handel Libyens zum Erliegen bringen. Bereits jetzt kommt es zu vielen Stromausfällen, weil der staatliche Energieversorger seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann.

Wie es weitergeht, ist unklar. Der vom Westen favorisierte Nachfolger Mohammed Shukri will nur an die Spitze der Zentralbank rücken, wenn auch der Osten zustimmt. Deshalb wurde zunächst ein Interims-Management berufen, das am Montag verkündete, von nun an herrsche „business as usual“.

In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall, Großbanken wie J.P. Morgan und viele Zentralbanken, darunter die Europäische, haben ihren Zahlungsverkehr mit Libyen eingestellt. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen wollen die Konfliktparteien nun einen neuen Versuch unternehmen, ihren Streit um die Zentralbank beizulegen. Je länger er dauert, desto weniger Geld gibt es zu verteilen: Die Ölförderung in Libyen ist um 70 Prozent eingebrochen.



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