„Macht hoch die Tür’“ – die Fenster macht weit, so tat es zumindest Helmut B. und dann kippte er aus ebendiesem ganz unheilig aus dem dritten Stock Wasser auf den Paketlieferanten. „Heißes Wasser“, so tat es die Staatsanwaltschaft kund. Einen weiteren Päckchenüberbringer soll der Rentner dann auch noch beleidigt und angegriffen haben. „Ich bin doch hier im Haus nicht die Packstation für alle“, wütete der 75-Jährige kurz vor Heiligabend im Amtsgericht voller Zorn.
Am Tag vor dem Weihnachtsfest sind die Gänge im Münchner Amtsgericht verwaist. Dort, wo auf drei Stockwerken in über zwei Dutzend Sitzungssälen Strafprozesse geführt werden, herrscht gähnende Leere. Die Justizwachtmeister patrouillieren und wünschen ein frohes Fest, nur in einer Gangecke, da herrscht reger Austausch: Rechtsanwältin Claudia Enghofer bespricht mit ihrem Mandanten Helmut B. den Vorschlag von Richter Martin Schellhase. Lange und eindringlich. Denn Helmut B. sieht sich als Bürger, „der unschuldig vor Gericht gezerrt wurde“, wettert er lautstark.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Staatsanwaltschaft da anderer Meinung ist. Sie wirft dem Rentner vor, dass er im Oktober 2022 von seinem Wohnungsfenster in Untersendling aus einen klingelnden Paketboten mit einer Wanne voll heißem Wasser übergossen habe. Der Zusteller habe Schmerzen und Hautrötungen erlitten. Etwa drei Wochen später, als der Postmann erneut klingelte, soll er diesem zu seinem Zustellfahrzeug gefolgt und ihn mit wüsten Beleidigungen überzogen haben. Einem Schlag des Rentners soll der Bote ausgewichen sein, er sei lediglich am Käppi getroffen worden.
Seine eigene Botschaft vor dem Feste hat Helmut B. auf vier ganz eng beschriebenen Seiten zusammengeschrieben, wie seine Anwältin Claudia Enghofer erzählt, und die verliest er auch vor Gericht. Das geht vom Geschäftsmodell von Lieferdiensten im Allgemeinen bis hin zu seiner Wut im Speziellen. Es sei ungerecht, dass die Leute in Massen bestellen, sich Sachen liefern lassen und dann nicht daheim seien. Da sie zu keiner Packstation gehen wollten, werde alles immer bei ihm abgegeben. Dieses ständige Läuten der Paketboten bei ihm sei „der reinste Klingelterror“.
Damit ihn keiner mehr stören kann, hat Helmut B. sogar seinen Klingelknopf abgeklebt. Ohne Erfolg. Es wurde weiter bei ihm geschellt, damit der Paketbote ins Haus gelangen konnte. „Und ich wohne im dritten Stock“, erläutert B., da müsse der Zusteller auch nicht befürchten, dass er runtergehe und es zu einer Konfrontation komme. Auf den Tattag selbst befragt, erklärte er, er habe lediglich aus Wut ein Glas Wasser auf den Paketboten gekippt – kaltes. Und er würde auch weder beleidigen noch schlagen, „das mach’ ich nicht“.
Richter Martin Schellhase stand ohnehin vor einem Problem: Der Paketzusteller war nicht greifbar, die gerichtliche Ladung erreichte ihn nicht. Und auch seine Aussage bei der Polizei bereitete Kopfzerbrechen, zumal handschriftlich im Protokoll nachgebessert wurde. Der vernehmende Beamte indes war ebenso nicht greifbar. Der Strafbefehl, den die Staatsanwaltschaft verschickt hatte, beinhaltete 90 Tagessätze zu 30 Euro, also 2700 Euro. Dagegen hatte B. Einspruch eingelegt.
Schellhase schlug eine Einstellung gegen Geldauflage vor: 360 Euro soll Helmut B. an die „Roten Nasen“ zahlen – die Kinderclowns in Krankenhäusern. So sollte es denn auch am Ende sein. Am 23. Dezember war somit zumindest der juristische Frieden hergestellt. Für Helmut B. allerdings nicht. Was er denn tun solle, rief er verzweifelt: „Die läuten ja weiter!“ Vielleicht wird das Klingeln zumindest am Heiligen Abend von den weihnachtlichen Kirchenglocken übertönt.