Es klingt nach dem Beginn einer Schulhofschlägerei: „Esel!“, schimpft der eine. „Suchst du Streit?“, antwortet der andere. „Ich bin bereit!“ Tatsächlich aber sind es keine kindlichen Rowdys, die sich da in den Haaren liegen, sondern einer der reichsten Männer der Welt, Elon Musk, und Nicolás Maduro, Venezuelas Diktator, der gerade für sich beansprucht, am Sonntag von seinem Volk für eine weitere sechsjährige Amtszeit wiedergewählt worden zu sein.
Die Abstimmung ist dabei höchst umstritten, und im Land sind deshalb heftige Proteste ausgebrochen. Alles eine faschistische Verschwörung, tönt Machthaber Maduro im Staatsfernsehen, initiiert von der globalen extremen Rechte und den „Imperialisten“ aus den USA, von den Narco-Banden – und Elon Musk. Der hatte sich schon im Vorfeld der Wahlen auf die Seite der Opposition gestellt. „Diktator!“, schrieb er dann nach der Verkündung der Abstimmungsergebnisse an Maduro gewandt. Der wiederum schimpfte zurück: Musk sei ein „Komplize des kolumbianischen Drogenhandels“ und Strippenzieher eines „Putschversuchs gegen Venezuela“. Wenn er sich traue, solle er doch nach Venezuela kommen! Musk daraufhin: „Warte nur, ich hol’ dich!“
Mindestens ein Dutzend Menschen sind bei den Protesten schon gestorben
Man könnte über diesen bizarren Streit nun lächeln, gleichzeitig aber ist auch klar, dass die Lage in Venezuela ernst ist: Mindestens ein Dutzend Menschen ist in den vergangenen Tagen schon bei den Protesten gestorben. Dazu kommt, dass die umstrittenen Wahlen in dem südamerikanischen Land nicht nur zu Wortgefechten in sozialen Netzwerken geführt haben, sondern auch zu handfesten diplomatischen Verwerfungen.
Gleich nach der Bekanntgabe der angeblichen Abstimmungsergebnisse gab es aus der Region eine Reihe von Ländern, die Maduro gratulierten, darunter Kuba, Bolivien und das ebenfalls diktatorisch regierte Nicaragua. Gleichzeitig aber kam auch Kritik, darunter von der rechten Regierung in Argentinien, ebenso wie von der linken in Chile. Das Maduro-Regime müsse verstehen, dass die veröffentlichten Ergebnisse schwer zu glauben seien, erklärte der chilenische Staatschef Gabriel Boric. „Chile wird kein Ergebnis anerkennen, das nicht überprüfbar ist.“
Umgehend wies Venezuela daraufhin die Diplomaten der beiden Länder aus, ebenso wie die von fünf weiteren lateinamerikanischen Staaten, die auch die Rechtmäßigkeit der Wahl angezweifelt haben. Vor allem im Fall von Argentinien ist dieser Schritt brisant, befinden sich in deren Botschaft in Caracas doch auch sechs venezolanische Oppositionelle, deren weiterer Verbleib nun unklar ist.
Brasilien und Kolumbien halten sich mit Kritik zurück
Mit Spannung wurde auch erwartet, wie Kolumbien und Brasilien sich positionieren würden. Beide Länder teilen sich eine Grenze mit Venezuela, und sowohl in Bogotá als auch in Brasília sitzt derzeit eine linke Regierung. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und sein kolumbianischer Amtskollege Gustavo Petro ließen sich aber Zeit – und am Ende war ihre Kritik auch eher verhalten.
Streit sei etwas ganz Normales, erklärte Lula da Silva. „Wie löst man so was? In dem man die Wahlakten vorzeigt.“ Petro meldete sich sogar erst am Mittwoch zu Wort. Sein Land hat in den letzten Jahren rund zwei Millionen venezolanische Flüchtlinge aufgenommen, und unter Petro wurden die einst abgebrochenen diplomatischen Beziehungen mit Caracas wieder aufgenommen. Er sprach von „schweren Zweifeln“ in Bezug auf die Wahl, kritisierte aber gleich auch noch einmal die Wirtschaftssanktionen der USA. Und als dann in der Vereinigung der Amerikanischen Staaten am Mittwoch über eine gemeinsame Resolution abgestimmt wurde, um Transparenz von dem Regime in Caracas bezüglich der Abstimmung vom Sonntag zu fordern, enthielt sich Kolumbien, ebenso wie Brasilien.
Auch der Rest der Welt erscheint eher vorsichtig, vielleicht, weil man nicht den gleichen Fehler machen will wie 2019, als viele Länder einen selbsternannten Übergangspräsidenten in Venezuela anerkannten – nur um dann am Ende umständlich wieder zurückrudern zu müssen, als dieser sich nicht gegen Nicolás Maduro durchsetzen konnte. Josep Borrell jedenfalls, der Außenbeauftragte der Europäischen Union, forderte, den „Willen des venezolanischen Volkes zu respektieren“, von einer gestohlenen Wahl oder Betrug aber kein Wort. Und US-Außenminister Antony Blinken forderte zwar die Veröffentlichung der vollständigen Wahlergebnisse und sprach von „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl. Aber die lukrativen Lizenzen, welche die US-Regierung Chevron und anderen ausländischen Unternehmen erteilt hat, um die Ölproduktion in Venezuela wieder hochzufahren, wurden bisher dennoch nicht gestrichen.