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Oliver Klemets Wikipedia-Eintrag war bisher genau vier Zeilen lang. Es stand dort, dass er am 18. März 2002 in Bad Homburg geboren wurde. Aufgewachsen ist er in Wehrheim, einer Stadt im hessischen Hochtaunuskreis, die für die ansässige Firma Ohropax bekannt ist. Wer in Paris schon einmal in einem Hotel übernachtet hat, das direkt über einem Bahnhof der RER-Nahverkehrszüge liegt, der wäre froh gewesen um zuverlässige Ohrenstöpsel. In Klemets Eintrag stand auch, dass er bei der Schwimm-WM 2022 in Budapest in der Freiwasser-Mixed-Staffel mit Lea Boy, Leonie Beck und Florian Wellbrock Gold gewann. Und dass er im Juli 2023 bei der WM in Fukuoka Bronze über 10 Kilometer holte – hinter Wellbrock, der Gold gewann. Mehr stand da am Freitagmorgen noch nicht.
Das hat sich geändert.
Denn Klemet, eines der größten deutschen Talente auf der Langstrecke, hat am Freitag über zehn Kilometer in der Seine Olympiasilber gewonnen, hinter Kristof Rasovszky und vor David Betlehem, beide aus Ungarn. In 1:50:54,8 Stunden lag Klemet 2,1 Sekunden hinter Rasovszky. „Ich konnte es nicht glauben“, sagte er auf dem Pont Alexandre III: „Das ist ein Traum, hier eine Medaille zu gewinnen. Und sie ist auch sehr schön.“

:„Einfach nur fassungslos und traurig“
Olympiasieger Florian Wellbrock scheidet auf seiner Paradestrecke im Becken über 1500 Meter im Vorlauf mit indiskutablem Rückstand aus. Dabei war er kurz vor Paris noch Spitzenzeiten geschwommen. Was ist seitdem passiert?
Für den 22-Jährigen, der seit zwei Jahren in Magdeburg unter Bundestrainer Bernd Berkhahn in der Trainingsgruppe um Wellbrock schwimmt, ist es der größte Erfolg seiner Karriere in einem Einzelrennen. Mit seinem zweiten Platz hat er außerdem den Medaillensatz für den Deutschen Schwimm-Verband in Paris komplettiert. Bei den Beckenwettbewerben in der ersten Woche hatten Lukas Märtens und Isabel Gose bereits Gold und Bronze gewonnen. Für Wellbrock dagegen blieb nur die Flucht.
Wellbrock geht nach dem Rennen wortlos davon – und hinterlässt nur Ratlosigkeit
Der Freiwasser-Titelverteidiger landete auf der schweren 10-Kilometer-Strecke in der 23,1 Grad warmen Seine mit 1:01,7 Minuten Rückstand nur auf Platz acht. Damit bleibt Wellbrock, der beste deutsche Schwimmer der vergangenen Jahre, der Olympiasieger und sechsmalige Weltmeister, in Paris ohne Medaille. Im 50-Meter-Becken der Arena La Défense war er im Vorlauf über 800 Meter und 1500 Meter Freistil jeweils ausgeschieden und hatte viel Ratlosigkeit hinterlassen, auch bei Bundestrainer Berkhahn. Nun lief er erneut an allen Kameras und Aufnahmegeräten vorbei. Als er um ein Statement gebeten wurde, verzog er keine Miene, sagte nichts, den Blick nach vorn gerichtet.
Es war der traurige Abgang eines Schwimmers, der gerade erkennen muss, dass andere an ihm vorbeiziehen, selbst in der eigenen Trainingsgruppe, wie nun Märtens und Klemet.
Berkhahn nahm seinen außer Form befindlichen Schwimmer später in Schutz: „Er hatte heute ein viel besseres Mindset als bei den Pool-Wettbewerben, eine super Einstellung. Auf die Füße gefallen sind ihm dann einfach die Bedingungen, wo er mit seinen niedrigen Frequenzen, mit seinen langen Zügen nicht bestehen konnte. Trotzdem hat er den achten Platz gemacht, das war sein bester Wettkampf hier.“

Wellbrock hatte sich sein Rennen eigentlich gut eingeteilt, lange Zeit schwamm er wie Klemet in der Spitzengruppe. Die Bedingungen waren auch nicht beklagenswert, die Seine floss mit 0,6 bis 0,7 Metern pro Sekunde unter den beiden Brücken hindurch, am Mauerrand nur mit 0,4 Metern pro Sekunde.
Bis zur vierten Runde sah auch alles gut aus für Wellbrock. Doch dann fiel er nach der Wendeboje zwischen Kilometer 7,6 und 8,3 um fast elf Sekunden zurück. Klemet hielt sich an der Spitze in einer Vierergruppe. Auf den letzten 300 Metern hatten Rasovszky und Klemet dann eine kleine Lücke zu den anderen gerissen, die sich nicht mehr schließen ließ. Und Klemet bewies auch auf den letzten Metern im Zielkorridor gegen die Strömung seine hervorragenden Steher-Qualitäten. Berkhahn lobte Klemets Renneinteilung: „Er hat sich von Runde zu Runde gesteigert und war sehr geschickt an den Punkten, wo es technische und taktische Anforderungen gab“.
800-m-Sieger Wiffen hat nach seiner 10-Kilometer -Premiere genug: „Ich trete vom Freiwasserschwimmen zurück.“
Daniel Wiffen, der vergangene Woche nach seinem 800-Meter-Erfolg zum ersten irischen Schwimm-Olympiasieger überhaupt wurde, hat bei seinem ersten Freiwasserwettkampf dagegen wie viele andere Lehrgeld gezahlt. Mit 6:27 Minuten Rückstand kam er als 18. ins Ziel. „Ich trete jetzt vom Freiwasserschwimmen zurück“, sagte Wiffen nach seiner Premiere in dieser Disziplin. Manch anderen erging es noch schlimmer, vier der 29 Starter erreichten das Ziel erst gar nicht. Der Spanier Carlos Garach wurde von Helfern, die auf Kajaks und Booten unterwegs waren, aus der Seine gezogen.
Klemet hingegen wirkte über das gesamte Rennen hinweg extrem stark, was sicher auch mit der Erfahrung zusammenhängt, die er in seiner Magdeburger Trainingsgruppe sammelt. Seit Mai 2022 ist er dort, nachdem er zuvor an einer Eliteschule des Sports in Frankfurt am Main war. Im Jahr vor dem Wechsel war er während seines Abiturs zwischen Hessen und Magdeburg gependelt, aber längst ist er froh, dann komplett umgezogen zu sein: „Das war definitiv die richtige Entscheidung“, sagte Klemet, „es hat sich bezahlt gemacht.“
Dem Olympiazweiten stehen mit 22 Jahren nun viele Türen in der Schwimmwelt offen – und er blickt schon auf den nächsten Olympiazyklus. „400, 800, 1500 Meter und zehn Kilometer würde ich in Richtung Los Angeles als Ziel nehmen“, sagte er, „aber die Konkurrenz im eigenen Land ist groß.“ Oliver Klemet ist aber zumindest an diesem Freitag über sie hinausgewachsen – und hat seinem Wikipedia-Eintrag immerhin eine fünfte Zeile geschenkt.