Eine Woche, nachdem Ungarn für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, gehen Viktor Orbán und die Europäische Union in der Außenpolitik immer entschlossener getrennte Wege. Am Montag traf der ungarische Premier zu einem Überraschungsbesuch in Peking ein; zu einem Foto von seinem Händedruck mit Staatschef Xi Jinping schrieb er auf der Plattform X, China sei eine „Schlüsselmacht bei der Schaffung von Friedensbedingungen“ im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Seinen eigenen Besuch bezeichnete Orbán als „Friedensmission 3.0“, offenkundig in Anspielung auf die zwei Stationen, die er vergangene Woche ebenso überraschend angesteuert hatte, zum Unmut der meisten EU-Partner.
Am vergangenen Dienstag war er zunächst in Kiew eingetroffen, beim ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Es war Orbáns erster Besuch in Ungarns nordöstlichem Nachbarland, seit dieses im Februar 2022 von Russland überfallen wurde. Er wolle „verstehen, wie wir der Ukraine helfen könnten“, sagte er. Orbán hatte auch gleich einen Vorschlag im Gepäck, wie man Europas derzeit „wichtigstem Thema“ beikommen könnte: Selenskij solle einem umgehenden Waffenstillstand zustimmen, dies würde eine „Gelegenheit schaffen, Friedensverhandlungen zu beschleunigen“.
Selenskij lehnte ab, bedankte sich gleichwohl für die humanitäre Hilfe, die Ungarn den zahlreichen ukrainischen Flüchtlingen im Land gewähre.
Da riss in Brüssel vielen der Geduldsfaden
Und Orbán legte nach: Drei Tage später, am Freitag, landete er mit seiner Regierungsmaschine in Moskau, ließ sich von Russlands Präsident Wladimir Putin empfangen, der ihn höflich als „Vorsitzenden des Europäischen Rates“ begrüßte. Spätestens da riss vielen in Brüssel der Faden.
Der Ungar habe „kein Mandat, mit Russland im Namen der EU zu verhandeln“, hatte nur einen Tag zuvor der Präsident des Europäischen Rates, der Belgier Charles Michel, auf X klargestellt. Die estnische Premierministerin und künftige EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warf Orbán vor, er nutze „die EU-Präsidentschaft aus, um Verwirrung zu stiften“.
Noch am selben Abend ließ die ungarische Regierung einen für diesen Montag anberaumten Termin mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Budapest platzen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es dazu, „in Anbetracht der überraschenden und nicht abgestimmten Moskau-Reise von Ministerpräsident Orbán“ wäre ein Gespräch zwischen den beiden Außenministern „durchaus wichtig gewesen“. Ungarns Regierung beteuerte später, hinter der Absage stünden „ausschließlich technische, keine politischen Gründe“.
Was genau es mit diesen technischen Gründen auf sich hatte, wurde dann spätestens mit den ersten Meldungen vom Besuch der ungarischen Delegation in Peking am Montag klar: Außenminister Péter Szijjártó war auch dabei an der Seite Orbáns. Und zu dem Anlass wetterte Szijjártó, Europa sei „voll von Pro-Krieg-Politikern“ – die hätten sich zuletzt als solche entlarvt, indem sie Ungarns Regierung und seinen Premier in der vergangenen Woche „dafür kritisiert haben, dass sie auf Frieden hinarbeiten“. Man werde sich von solchen „Angriffen“ aber nicht „einschüchtern oder entmutigen lassen“, die „Friedensmission“ werde weitergehen.
Chinas E-Auto-Hersteller BYD plant in Ungarn sein erstes europäisches Werk
Jetzt also Peking. Vieles von dem, was dort am Montag verlautete, ähnelt den Szenen von Orbáns Moskau-Besuch drei Tage zuvor. Der Gastgeber, in dem Fall Xi Jinping, gratulierte dem ungarischen Gast zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft, und aus Europa, in diesem Fall etwa aus Berlin, kam eine Klarstellung der Rollenverteilung. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, sagte über Orbán: „Die Reisetätigkeit, die wir im Augenblick sehen, das tut er als ungarischer Ministerpräsident.“ Dabei, so Hebestreit, „stehen ihm alle Möglichkeiten offen, aber nicht im Namen der EU oder als EU-Ratspräsident“.
Chinesischen Staatsmedien zufolge lobte Xi Orbáns Friedensbemühungen, sprach sich für einen Waffenstillstand in der Ukraine aus und verwies darauf, dass China sich seit Längerem „aktiv für Friedensgespräche“ einsetze. Dann redete man noch ausgiebig über die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Ungarn, wie schon vor zwei Monaten, als Xi in Budapest zu Gast war und Orbán die chinesischen Investitionen in seinem Land pries. Im Süden Ungarns plant etwa der chinesische Autohersteller BYD eine große Fabrik, seine erste in Europa.
Über den Ukraine-Krieg hat Orbán nach seinem Treffen mit Putin vergangenen Freitag der Bild-Zeitung gesagt, dieser werde in nächster Zeit „brutaler sein als in den letzten sieben Monaten“. Wie zum Beleg schlug am Montag eine Rakete in einem Kinderkrankenhaus in Kiew ein. Viktor Orbán reiste unterdessen weiter in die USA, wo am Dienstag ein Nato-Gipfel beginnt. Es wurde spekuliert, dass Orbán seinen langjährigen Verbündeten Donald Trump treffen könnte, den ehemaligen und womöglich auch künftigen US-Präsidenten. Einen, in den Worten Orbáns, „Mann des Friedens“.