Auf Veggie machen mittlerweile alle. „Richtig kulinarisch und geschmacksintensiv“ seien die veganen Alternativen, wirbt Edeka. „Vegan ist für uns mehr als ein Trend“, sagt Aldi. Lidl hat dafür eine eigene Marke namens Vemondo eingeführt, und Rewe verweist auf ein Sortiment mit 1400 veganen Produkten. Wenn ihm das vor zehn Jahren einer gesagt hätte, wie Deutschlands Lebensmitteldiscounter umschwenken – „ich hätt’s nicht geglaubt“, sagt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).
Seit diesem Dienstag liegt ein neuer „Ernährungsreport“ vor, die Bundesregierung erfragt damit seit 2015, was hierzulande so auf den Tisch kommt. Nur das Beste, heißt regelmäßig die Antwort: 99 Prozent der Befragten achten vor allem darauf, dass es schmeckt, und 91 Prozent wollen es gesund haben. Ob sich das immer mit den Mahlzeiten deckt, ist eine andere Frage. Wer das eine Prozent ist, dem der Geschmack beim Essen angeblich nicht wichtig ist, darüber rätselt auch Özdemir.
Die Menschen kaufen immer häufiger vegane oder vegetarische Ersatzprodukte
Überdeutlich wird aber in dem Report, wie Fleisch und tierische Produkte an Bedeutung verlieren. 23 Prozent der Befragten geben noch an, „täglich oder mehrmals täglich“ Fleisch oder Wurst zu essen. 2015, als die Befragungen starteten, lag dieser Wert noch bei 34 Prozent. Dagegen greift mittlerweile jeder Zehnte täglich zu vegetarischen oder veganen Alternativen, etwa Fleischersatzprodukten. Das ist ein doppelt so hoher Anteil wie 2020. Vorher wurde der Wert erst gar nicht erhoben.
2020 auch hatten 29 Prozent der Befragten angegeben, öfter vegane oder vegetarische Ersatz- oder Alternativprodukte zu Fleisch, Fisch oder Milch zu kaufen, 2024 sind es schon 39 Prozent. Was wiederum erklärt, warum der Handel mehr davon anbietet – oder sich dadurch erklären lässt, dass der Handel mehr davon anbietet. Ursache und Wirkung sind nicht ganz klar, aber in der Statistik schlägt sich das längst nieder. So registriert das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft Jahr für Jahr einen sinkenden Fleischkonsum, zuletzt auf weniger als 52 Kilogramm pro Kopf. 2018 waren das noch mehr als 60 Kilo. Vor allem Schweinefleisch wird weniger gegessen – und auch weniger produziert. Gegenüber 2016, einem Rekordjahr, sank die Zahl der geschlachteten Schweine hierzulande um 25 Prozent.
Auch Gütesiegel, wie etwa das Tierwohllabel oder das Biosiegel, spielen offenbar eine wachsende Rolle. Jedenfalls geben 65 Prozent der Befragten an, auf das Tierwohllabel zu achten, das über die Haltungsform Aufschluss gibt. 59 Prozent berücksichtigen das Biosiegel – das sind zwölf Prozentpunkte mehr als 2015. Fast neun von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern verlangen einen Ausbau des Ökolandbaus. „Sie haben die Ernährungswende also eingeläutet, die Politik muss endlich nachziehen“, sagt Tina Andres, Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft – etwa durch mehr Biokost in Kantinen, Mensen oder Kitas. „Bio ist für immer mehr Menschen die Antwort“, sagt Andres.
Ein Großteil der Befragten will bessere Haltungsbedingungen in den Ställen
Özdemir, selbst bekennender Vegetarier, sieht in den Zahlen aber vor allem Grund, einen „Kulturkampf“ zu beenden: zwischen den „Hardcore-Vegetariern“ auf der einen Seite und den „Hardcore-Carnivoren“ auf der anderen. Zu Letzteren, den Fleischfreunden, zählt er vor allem „die Söders dieser Welt“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte den Grünen vorgeworfen, Fleisch mit einer Tierwohlabgabe so zu verteuern, dass viele Menschen es sich nicht mehr leisten können. Auf seinem Instagram-Account erklärt er die Schweinshaxe unter dem Hashtag #söderisst auch schon mal zur „Bavaria-Diät“.
Tatsächlich hält Özdemir immer noch an seiner Tierwohlabgabe fest, und immerhin pochen auch 92 Prozent der Befragten auf bessere Haltungsbedingungen in den Ställen. Die Abgabe, die nach Özdemirs Vorstellung auch über einen Aufschlag auf die Mehrwertsteuer fließen kann, könnte den tiergerechten Umbau von Ställen finanzieren – doch bisher ist vor allem die FDP dagegen.
Strittig ist auch noch der Plan, an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten; und auch eine Ausweitung der Tierhaltungskennzeichnung harrt der Umsetzung. Für die Ampelkoalition sind es nicht die einzigen Streitthemen, und die Zeit wird knapp. Er selbst, sagt Özdemir, halte es da mittlerweile mit dem „Fliegenden Holländer“: „Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb’ ich mich doch der Hoffnung hin.“