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Polen: Erster Schritt zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts – Politik

by Marko Florentino
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Die Debatte um das Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen, kann im polnischen Sejm offiziell weitergehen. Die Linken-Abgeordnete Anna-Maria Żukowska sprach von einem historischen Tag. Am Freitagnachmittag hatte die Mehrheit entschieden, vier Gesetzentwürfe zum Thema Abtreibung nicht abzuweisen. Damit können alle vier Vorlagen in die nächste Lesung gehen. Das ist zwar ein kleiner Schritt, aber eben auch der erste in Jahrzehnten auf dem Weg zu einer möglichen Liberalisierung.

Zu verdanken ist der kleine Schritt dem jahrelangen Kampf vieler Frauen. Und eigentlich auch der PiS. Mit ihrer Radikalisierung eines ohnehin schon strengen Gesetzes hat die Partei Zehntausende wütende Frauen auf die Straßen gebracht. Und der konservativen Bürgerplattform von Donald Tusk wurde klar, dass sie an diesem Thema nicht vorbeikommt, wenn sie weibliche und jüngere Wähler erreichen will. Einige der Demonstrantinnen sind heute selbst Abgeordnete. Wie Dorota Łoboda, die am Freitag im Sejm sagte, es sei nun ein erster Schritt unternommen worden: «für das Recht, die Gesundheit und die Sicherheit von Frauen».

Mit dem Argument, es gehe um die Gesundheitsversorgung von Frauen, hat die Tusk-Partei versucht, das Thema aus der ideologischen Ecke zu holen. Es sind nun Frauen wie Łoboda, die dafür sorgen, dass Tusk sein Wahlversprechen erfüllt. Die Bürgerplattform hat im Sejm einen Entwurf zur Fristenlösung vorgelegt. Damit würden Abbrüche bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche legal.

In Tschechien und der Slowakei sind Abbrüche bis zum Ende der zwölften Woche erlaubt

Seit 1993 sind in Polen Abtreibungen verboten. Anders als Tschechien und die Slowakei, die ihre liberale Gesetzgebung aus sozialistischer Zeit behielten und wo Schwangerschaftsabbrüche bis zum Ende der zwölften Woche erlaubt sind, änderte das junge, demokratische Polen das Gesetz aus der Zeit der Volksrepublik. Ausnahmen vom Abtreibungsverbot galten im Falle von Vergewaltigungen oder Inzest sowie bei Gefahr für das Leben der Mutter oder wenn der Fötus geschädigt war. Diesen letzten Grund strich PiS im Jahr 2020.

Das strenge PiS-Gesetz wurde zur Lebensgefahr für Frauen, mehrere Schwangere starben. Erst vergangenen Juni, wenige Monate vor der Parlamentswahl, hatte es erneut landesweit Proteste gegeben. Ende Mai war eine schwangere Frau in einem Krankenhaus gestorben, weil ihr Hilfe verweigert wurde. Die Frau hatte im fünften Monat Fruchtwasser verloren, der Fötus war gestorben – weil er nicht entfernt wurde, erlag die Frau einer Sepsis. So hatte es damals ihr Mann mehreren Medien berichtet. Zuvor hatte es bereits ähnliche Fälle gegeben. Offenbar eingeschüchtert von dem Gesetz, zögerten die Ärzte zu lang einzugreifen.

Schon nach der Gesetzesänderung 2020 hatte es landesweit Demonstrationen gegeben. Die Polizei war mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die Frauen vorgegangen, die angeblich Corona-Auflagen verletzten. Zusätzlich verschärft wurde das Abtreibungsverbot durch eine Gewissensklausel, die es Ärzten erlaubt, einen Abbruch grundsätzlich zu verweigern. In der Folge werden in polnischen Kliniken und Arztpraxen fast gar keine Abtreibungen mehr vorgenommen.

Das polnische Recht stellt auch viele Frauen aus der Ukraine vor Probleme

Gewaltopfern mutet man außerdem durch das Gesetz zu, erst Ermittlungen durchzustehen und auf ein Papier eines Staatsanwaltes zu warten – im Zweifelsfall ist dann die Zeit für einen erlaubten wie auch sicheren Abbruch abgelaufen. Das wurde vor allem auch für viele Frauen aus der Ukraine zum Problem, die nach Kriegsbeginn zu Millionen nach Polen geflüchtet waren.

Faktisch geschehen Schwangerschaftsabbrüche in Polen jeden Tag. Aktivistinnen von der Organisation Aborcyjny Dream Team präsentierten vor dem Sejm eine Rechnung auf einem riesigen Kassenbon über mehr als 49 Millionen Złoty – etwa 11,5 Millionen Euro. So viel Geld habe sich das polnische Gesundheitssystem in 18 Jahren gespart, weil es Frauen Hilfe verweigere. So argumentieren die Aktivistinnen, deren Arbeit auf Spenden basiert.

Gemeinsam mit dem internationalen Netzwerk Abortions without Borders hilft das Aborcyjny Dream Team Frauen, ins Ausland zu fahren, um dort einen Abbruch vornehmen zu lassen. Oder sie senden polnischen Frauen aus dem Ausland Abtreibungsmedikamente zu. Damit umgehen sie das Gesetz, das diejenigen bestraft, die bei einem Abbruch helfen. Die Frau selbst, die solche Medikamente nimmt, macht sich nicht strafbar.

Ein Zeichen, dass die Regierungskoalition funktioniert

Die Abstimmungen vom Freitag sind auch deshalb ein Erfolg, weil die vier Koalitionsparteien beweisen, dass sie zusammenarbeiten können. Während Bürgerplattform und Linkspartei die Legalisierung wollen, möchten die konservative Bauernpartei PSL und die zentristische Polska 2050 nur zum Gesetz von vor 1993 zurückkehren. Sie haben gemeinsam einen entsprechenden Vorschlag im Sejm eingebracht. Er hat derzeit die meisten Aussichten, glatt durchzugehen, sogar PiS-Abgeordnete zeigen sich offen dafür. Die Linke hatte zwei Entwürfe vorgelegt, die sich mit der Entkriminalisierung und sicheren Methoden des Abbruchs befassen. Offenbar sind sich die vier Koalitionspartner immerhin darin einig, dass sie zumindest alle Vorschläge weiterdiskutieren und eventuell überarbeiten wollen.

Doch auch der Straßenkampf wird weitergehen: Für Sonntag haben mehrere Organisationen in Warschau einen Marsch gegen das Recht auf Abtreibung angekündigt.



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