Es ist ein besonderer Tag, an dem der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zum Kabinettstreffen gerufen hat: Am 15. Oktober vor einem Jahr wählten die Polinnen und Polen ein neues Parlament. Tusk und seine Koalitionspartner erreichten eine Mehrheit und konnten die rechtsnationalistische PiS-Partei nach acht Jahren in der Regierung ablösen.
Eines hat sich seither nicht geändert: Polens scharfer Kurs gegen illegale Einwanderung. Auf dem Parteitag der Bürgerplattform (PO), deren Vorsitzender Tusk ist, hatte der Premier am Wochenende gesagt, eine zeitweise befristete und territorial eingeschränkte Aussetzung des Asylrechts sei Teil seines Plans zur Abwehr unerwünschter Migranten, die an der Grenze zu Belarus ankommen.
Tusks Plan, den er nun mit seinem Kabinett diskutieren und beschließen will, umfasst zehn Punkte. Darin geht es etwa auch um die gezielte Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Doch vor allem macht das Papier, aus dem polnische Medien am Dienstag zitieren, erneut klar, dass Tusk die Migration über Belarus grundsätzlich als eine gezielte, hybride Attacke des diktatorischen Regimes unter Alexander Lukaschenko ansieht. Und in diesem Fall, zum Schutz der Sicherheit Polens, soll das Asylrecht ausgesetzt werden können. Also eigentlich für jeden, der diesen Fluchtweg wählt.
Die christlich-grüne Partei Polska 2050 nennt das Asylrecht heilig
Im Gespräch mit der Tageszeitung Gazeta Wyborcza sagte Tusk am Dienstag: „Täglich passieren 60 bis 120 Menschen illegal die Grenze.“ Kürzlich seien es noch bis zu 600 täglich gewesen, doch nun habe sich herumgesprochen, dass die Grenze gut bewacht werde. Das sei „natürlich teuer“, sagt Tusk in dem Interview. „Wir halten mehrere Tausend Soldaten und Offiziere in voller Kampfbereitschaft. Jeden Tag sind mehrere Hundert Menschen im Einsatz.“
Tatsächlich versuchten in diesem Jahr mehr Menschen, über die Ostgrenze in die EU zu gelangen. Laut Daten der Europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex wurden dort in diesem Jahr 13 195 irreguläre Grenzübertritte registriert, wie es in der Behördensprache heißt, ein Plus von 192 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Wie 2023 waren darunter besonders viele ukrainische Staatsbürger, außerdem Somalier und Syrer.
In Tusks Koalition aus vier Parteien stieß die Idee der Aussetzung des Asylrechts auch auf Kritik. So erklärte der Vorsitzende der christlich-grünen Partei Polska 2050, das Asylrecht sei „heilig“. Auch die Linke verwies auf EU-Recht und forderte den Justizminister auf, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Lediglich die rechtsextreme Konfederacja, die in der Opposition ist, hatte erklärt, Tusks Pläne unterstützen zu wollen.
Ein Staatssekretär sieht den gesellschaftlichen Frieden in Gefahr
Eine linke Senatsabgeordnete trat am Dienstag gemeinsam mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen vor die Presse und forderte eine öffentliche Anhörung zur Migrationsstrategie. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland, die einen Film über die Migration über die Grenze aus Belarus gedreht hat, warnte bei dieser Gelegenheit davor, mit Forderungen wie der Tusks „rechtsextreme Politiker“ zu übertrumpfen und sich über internationale Vereinbarungen hinwegzusetzen.
Maciej Duszczyk, Staatssekretär im Innenministerium, sagte dem Fernsehsender TVN 24, die Zahl der in Polen lebenden Migranten sei „grenzwertig“. Es handle sich derzeit um 2,5 Millionen Menschen. Man müsse darüber nachdenken, ob das den gesellschaftlichen Frieden gefährde. Nach Daten des Statistikamtes leben etwa eine Million Menschen aus der Ukraine in Polen, zudem mehr als 100 000 aus Belarus.
Wie am Dienstag veröffentlichte Daten des Statistikamtes GUS zeigen, geht die Bevölkerungszahl insgesamt stetig zurück und steht nun bei 37,56 Millionen Menschen. 1990 waren es noch eine halbe Million mehr. Seit einigen Jahren aber wandern mehr Menschen ein als aus.