„Die Strafe hätte höher ausfallen müssen“, sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Deshalb habe man Berufung eingelegt. „Maßgebliche strafschärfende Umstände sind unserer Ansicht nach die massiven Folgen für die Geschädigte und der mit dem Tatablauf einhergehende besondere Vertrauensbruch.“
Die junge Frau knibbelt an ihren Fingern herum, die Beine sind verschränkt, ab und an stockt ihre Stimme, sie wischt die Tränen weg. Jennifer L. (alle Namen geändert) erzählt in ihrer Videovernehmung, die im Gerichtssaal eingespielt wird, von dem Abend, als ein guter Freund sie vergewaltigt hat. Sie hatte Thomas B. vertraut, sie war empathisch gewesen, sie wollte ihm helfen. Und genau das wurde ihr zum Verhängnis.
Thomas B. ist haupt- und ehrenamtlicher Feuerwehrmann im Münchner Umland. Er hatte an einem Februarabend 2022 bei der Feuerwehrversammlung ein paar Bier getrunken, später traf er auf einer privaten Party seine gute Bekannte Jennifer L. Der damals 25-Jährige war gerade von seiner Ehefrau verlassen worden, „er tat mir leid“, sagt Jennifer L.
Es sei damals üblich gewesen, dass man nach Partys bei ihr einen Absacker trinke, erzählt L. weiter. Und da sie wisse, dass es übel sei, alleine mit Liebeskummer heimzugehen, habe sie den Freund noch mit zu ihr genommen.
Thomas B. habe auf ihrer Couch dann geweint, sie versuchte, gute Ratschläge zu geben. Dann versuchte er, sie zu küssen. Sie habe ihm unmissverständlich klar gemacht, dass sie keinerlei derartiges Interesse habe und ihn weggedrückt. Er habe sich entschuldigt, sich geschämt und sei verzweifelt gewesen. Also habe sie wieder versucht, ihn aufzubauen.
Irgendwann, gegen vier Uhr früh, sei sie eingeschlafen. Sie wachte auf, weil sie „irgendetwas spürte“. Ihre Hose war nach unten gezogen, an ihrem Unterleib habe es „eine bewegende Berührung“ gegeben. Sie sei auf die Toilette gerannt und habe „aus Ekel“ sofort eine andere Hose angezogen. Irgendwann sei sie zurück ins Wohnzimmer, wo er mit entblößtem Unterleib unter einer Decke schlief, und habe ihn rausgeworfen.
Thomas B. erklärte vor Gericht, er habe auf der Party zu viel getrunken und könne sich an das Geschehen in der Wohnung überhaupt nicht erinnern. Er räume aber die Tat ein, weil er davon ausgehe, dass sie ihn nicht zu Unrecht beschuldigen würde. B. hatte laut Rechtsmedizin mehr als zwei Promille Alkohol im Blut, allerdings sei seine Aussprache am Tatabend klar und sein Vorgehen „zielgerichtet und sinnhaft“ gewesen, so Jennifer L.
Die Staatsanwaltschaft hielt B. sein Geständnis zugute, das Jennifer L. eine Aussage vor Gericht ersparte. Außerdem zahlte B. als Täter-Opfer-Ausgleich 6000 Euro an die junge Frau. Staatsanwalt Maximilian Seidl sagte in seinem Plädoyer, dass B. einer Berufsgruppe angehöre, die bei Straftaten Grenzen zu befürchten hätten. „Aber auch andere Berufsgruppen sehen sich Konsequenzen ausgesetzt.“
Er forderte eineinhalb Jahre auf Bewährung. Verteidigerin Anne Patsch erklärte, ihr Mandant habe ohnehin mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen. Und die Tatsache, dass Jennifer B. zum Tatzeitpunkt etwa ein Promille Alkohol im Blut hatte, hätte „zum Tatgepräge beigetragen“.
Das Schöffengericht zeigte Verständnis für den Täter, er sei mit 25 Jahren noch jung gewesen, die Tat sei „eine unreife Reaktion“ auf die Trennung von der Ehefrau gewesen, das habe man strafmildernd gewertet. Es wäre „eine sehr große Härte“, wenn er durch das Urteil seine Stellung verlieren würde. Indes sei die Tat für die Geschädigte „einschneidend“ gewesen. „Sie wird für den Rest ihres Lebens nicht mehr so sein wie sie war.“ Thomas B. wurde neben der Bewährungsstrafe zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit sowie fünf Therapiestunden verurteilt.
Wie Jennifer L. in ihrer Videovernehmung erzählt, seien die Tage nach der Tat „schlimm, sehr schlimm“ gewesen. Sie habe nicht mehr geschlafen, später sei sie bei jedem kleinen Geräusch aufgewacht. Sie habe eineinhalb Jahre Therapie gemacht, sei nach wie vor schreckhaft. Sie habe Probleme mit Menschen, „die ihm ähnlich sehen“, ekle sich vor starken Männerparfüms, und Umarmungen von Freunden und Bekannten seien „nicht so toll“.
„Die Schuld muss endlich die Seiten wechseln“, kommentiert eine Userin im Internet das Urteil. „Opferschutz vor Täterentschuldigung!“ Und Britta Zur, ehemals Polizeipräsidentin von Gelsenkirchen, schreibt im Netz: „So viele engagieren sich, (…) um körperliche Gewalt und sexuellen Missbrauch zu verhindern – und ausgerechnet die Justiz zieht nicht mit?! Was hat dieses Urteil für eine Signalwirkung?“